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Am Wochenmarkt am Kollwitzplatz konnte man auch mal wieder in D-Mark zahlen.

© Kai-Uwe Heinrich

Wandel in Prenzlauer Berg: Auf dem Kollwitzmarkt zahlt man wieder in D-Mark

Vor 25 Jahren wurde in der DDR die D-Mark eingeführt. Auf dem Kollwitzmarkt in Prenzlauer Berg durfte man deshalb wieder mit dem Westgeld bezahlen. Doch zwischen Trockenobst und selbstgenähten Taschen zahlte der Kunde nicht gern in Nostalgie.

Michael John brummt jeden einzelnen Buchstaben vor sich hin, die Zungenspitze klebt an der Oberlippe. „H-E -U...“ – der schwarze Filzstift, den er über einen Pappdeckel zieht, knirscht. So, ein Ausrufezeichen muss auch noch dran.

Neben dem roten, geschwungenen Schriftzug „Trockenfrüchte“ an der Plane seines Standes am Kollwitzmarkt klebt nun auch noch der Hinweis „HEUTE MIT D-MARK!“. Das muss doch jetzt aber klappen, ist ja schon das zweite Schild mit dem Satz. Das erste hängt schon, 20 Zentimeter weiter links.

Vor 25 Jahren, am 1. Juli 1990, wurde die D-Mark in der DDR als Zahlungsmittel eingeführt, die Menschen formierten sich in Schlangen vor den Bankschaltern, als würden kostenlos Bananen und Freibier in Kombination ausgegeben. Auf einmal hatte jeder die Währung, die zu Mauerzeiten noch wie ein kostbarer Schatz behandelt worden war. Die DDR-Flagge am Brandenburger Tor flatterte noch einsam bis zum 3. Oktober 1990, aber mit den viel kleineren Fähnchen, die einfach nur Schwarz-Rot-Gold waren oder auf denen als Gag die D-Mark als Emblem gedruckt war, wedelten jetzt alle. Die Sehnsucht nach der weiten Welt – mit der West-Mark erfüllte sie sich für viele Ostdeutsche.

Die alten Ost-Berliner sind hier in der Unterzahl

Am herausgeputzten Kollwitzmarkt, an diesem sonnigen Sonnabend im Jahr 2015, ist der Alltag längst weitergegangen, und die alten Ost-Berliner sind hier in Prenzlauer Berg längst in der Unterzahl. Hier hatte also der Marktleiter eine Idee: Heute darf man noch einmal mit D-Mark bezahlen, Rückgeld in Euro. Historie vermischt mit PR.

Und deshalb kann dieser Kunde mit dem roten Hemd, der bei John Bio-Bananenchips mit Honig kauft, jetzt in D-Mark bezahlen. Hat doch zwei Schilder vor der Nase. Der Kunde drückt John Münzen in die Hand. Euros. „Noch keiner hat heute mit D-Mark bezahlt“, sagt John, ein Glatzkopf aus Thüringen, der Marzipan mit Honig nach dem Rezept seiner Großmutter macht. Ach, wie gerne würde er wieder einen D-Mark-Schein fühlen, es wäre ein sinnliches Erlebnis. „Die Euro-Einführung war doch Riesenblödsinn.“

Aber die D-Mark ist an diesem Tag blasse Erinnerung. Niemand hatte einen Kunden, der damit bezahlte. Die Verkäuferin, die Ziegenfrischkäse anbietet, nicht, die ältere Frau hinter selbstgenähten Taschen nicht. Und hier? Bei dem Stand mit Wurst und Brot? Die Verkäuferin schüttelt den Kopf. Sie würde die D-Mark ja nehmen, na klar. Ihre Standmiete würde sie dann aber auch in D-Mark bezahlen.

Ein Drittel der Deutschen wünscht sich die Währung zurück

Ein Drittel der Deutschen wünscht sich nach Umfragen die D-Mark zurück. Aber was heißt hier: zurück? Sie ist ja noch da, die D-Mark. Die Berliner Filiale der Bundesbank nimmt sie noch an, eine Kaufhauskette auch, Nostalgiker können ein Markstück in alle Münztelefone werfen. Und ein Juwelier in – Achtung – Prenzlauer Berg nimmt die D-Mark ebenfalls. Es muss also noch D-Mark auch in dieser Gegend geben.

Nur auf dem Kollwitzmarkt, zur Mittagszeit, da hat sie keiner dabei. Zu viele Touristen? Zu wenige Nostalgiker? Zu viele Ahnungslose, die von nichts wussten? Wie die Verkäuferin am Käsestand, die zum ersten Mal von der PR-Aktion hört? Zehn Meter neben ihr zaubert Reeim in schwarz-weißen Ringelsocken, ein Israeli, der in einem verbeulten Hut Geld sammelt. Vielleicht da? In dem Hut? Ein Fünf-Mark-Stück? Oder wenigstens ein Pfennig, ein klitzekleiner Pfennig? Reeim wühlt in seinem Hut. „Nichts“, sagt er dann. Stimmt. Hat er gut geraten. Reeim hat nämlich ein kleines Problem. „Ich weiß gar nicht, wie Mark- und Pfennigstücke aussehen.“

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