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Berlin: Wann träumt man Deutsch ?

Sie überkommt einen im Schlaf: die fremde Sprache. Forscher rätseln darüber, wie das geht

Marcela Duque aus Kolumbien hat einen Deutschkurs gemacht, Grundstufe 1c. Ob er schon mal auf Deutsch geträumt hat? „Ja! Ich habe geträumt, dass ich perfekt schreiben, sprechen und lesen kann.“ Toll! Andreas Hamburger, Psychoanalytiker und Traumforscher, wachte einmal mit der Vorstellung auf, des Nachts fließend Italienisch gesprochen zu haben. Endlich, die Sprachbarriere war eingerissen! Dann forschte er in seinem Gedächtnis, was er genau gesagt hat, und stellte ernüchtert fest: „Das war bestenfalls Küchen-Italienisch.“

Wie lange dauert es, bis man in einer fremden Sprache träumt? Sechs Wochen? Ein Jahr? Kann man im Schlaf besser sprechen als im Wachen? Kann das Unterbewusstsein Sprachen wiedergeben, von denen das Bewusstsein keinen blassen Schimmer hat? Die Forscher halten sich mit Antworten sehr zurück. Solche Fragen stehen unter Esoterikverdacht. In den Traum hineinschauen oder -horchen kann man nicht. Und das Sprechen über den Traum habe nur sehr wenig mit dem erlebten Traumereignis zu tun, sagt Heinrich Deserno vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt am Main. Freud selbst glaubte, dass es im Traum gar keine Sprache gibt. Träumer haben oft das Gefühl der Sprachlosigkeit, weil das Artikulationszentrum im Hirn nicht aktiviert ist. „Wenn sie versuchen, im Traum zu sprechen, wachen sie auf“, sagt Deserno.

Menschen, die im Traum fremde Sprachen sprechen, die sie in Wirklichkeit nur radebrechen können, sind Opfer ihrer eigenen Illusion, glaubt Andreas Hamburger. Und ihres Wunschdenkens, das im Traum reflektiert wird. „Im Traum kann der Mensch nicht mehr als im Wachen“, sagt auch Deserno. Es werden abstrakte Erkenntnisse des Bewusstseins möglicherweise neu visualisiert – ähnlich wie beim Benzolring, dessen Molekül-Struktur dem Chemiker Friedrich August Kekulé von Stradnitz erstmals im Traum erschien, vor dem „geistigen Auge“.

Der Berliner Schlafforscher Ingo Fietze bewertet das Traumsprechen positiver. Wenn man beispielsweise tagsüber fremdsprachige Sendungen schaut, könnten die vorbeirauschenden Wörter im Traum durchaus eine aktivere Rolle spielen. Immerhin gibt es im Schlaf keine Sprechhemmungen wie im Wachen. Träume sind generell wichtig für das Lernen. Ingo Fietze vermutet, dass Menschen, die von sich behaupten, keine Fremdsprachen lernen zu können, zu wenig träumen. Forschungen gebe es dazu allerdings nicht.

Der Düsseldorfer Germanist Georg Stötzel erinnert sich an einen Studienaufenthalt in Schottland. Nach wenigen Wochen habe er angefangen, Englisch zu träumen – allerdings weniger als Eigenleistung des Unterbewusstseins, sondern als Reaktion auf den Sprachstress im Alltag. Ständig verstehen, antworten, übersetzen in einer fremdem Sprachwelt – so viele Reize beschäftigen das Gehirn auch im Schlaf weiter. An den umgekehrten Weg – das Unterbewusstsein gibt Impulse für den Spracherwerb an das Bewusstsein weiter – glaubt Stötzel nicht.

Sprachdidaktiker befassen sich kaum mit Traumforschung. Sie kategorisieren ihre Eleven ganz grob in zwei Grundtypen: den „afrikanischen“ Schüler, der gegen alle Sprachregeln einfach drauflosquasselt. Und den „japanischen“ Schüler, der sich selbst ständig kontrolliert und sein Schweigen erst dann bricht, wenn er sich hundertprozentig sicher ist, alles richtig zu machen. Welche Rückkopplungen diese unterschiedlichen Haltungen im Traum auslösen, ist nicht bekannt.

Der Traum bleibt ein Mysterium. Stötzel erzählt, wie in den 70er Jahren linksorthodoxe Studenten unter Drogen aussagten, sie könnten nun Marx & Engels auswendig, und zwar komplett. Nur fehlten ihnen einfach die Worte, das Wissen auch auszusprechen.

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