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Berlin: Warum ist es auf der Berlinale so kalt, Herr Jansen?

Peter W. Jansen war das erste Mal 1964 auf den Berliner Filmfestspielen und ist auf der diesjährigen 50.

Peter W. Jansen war das erste Mal 1964 auf den Berliner Filmfestspielen und ist auf der diesjährigen 50. Berlinale Mitglied der internationalen Jury. Der promovierte Filmpublizist hat seit 1972 insgesamt 45 Bände der renommierten Film-Reihe des Hanser Verlags herausgegeben, bis die Reihe 1992 eingestellt wurde. Er war Leiter der Hauptabteilung Kultur beim Hörfunk des SWF und veröffentlicht als Filmkritiker bis heute in Tageszeitungen und Fachpublikationen Rezensionen und Essays. Er ist Stammgast der großen, internationalen Filmfestivals und genauso der renommierten kleineren wie in Rotterdam oder Hof. Peter W. Jansen schreibt regelmäßig für den Tagesspiegel. Das Gespräch mit ihm führte Christina Tilmann.

Herr Jansen, wie oft waren Sie schon auf der Berlinale?

Eigentlich ist dies meine 36. Berlinale. Allerdings habe ich zwischendurch drei, vier Berlinalen boykottiert, als das Festival in den frühen Neunziger Jahren in die "Schwangere Auster" am Tiergarten verlegt wurde. Ich war es satt, am Kudamm zu wohnen und diese weiten Strecken zur Vorführung zurücklegen zu müssen. Als der Wettbewerb in den Zoopalast zurückkehrte, bin auch ich reumütig wiedergekommen.

Es war also nur Bequemlichkeit, die Sie zum Berlinale-Boykott trieb?

Berlin war immer unbequemer als Venedig und Cannes. Wenn man in Venedig auf dem Lido wohnte, in einem Hotel, das nicht zu weit weg war, dann hat man sich ein Fahrrad gemietet und ist zum Kino geradelt - das war wunderbar. Und in Cannes ist man einfach am Strand bis zum Festspielhaus gelaufen. Als die Berliner Filmfestspiele noch im Sommer stattfanden, war es auch hier wunderbar, da konnte man nächtelang in den Cafés auf dem Kudamm sitzen und diskutieren. Als die Berlinale 1978 vom Sommer in den Winter verlegt wurde, hat sie für mich viel an Qualität verloren.

Cannes und Venedig haben der Berlinale nur das gute Wetter voraus?

Berlin hat immer versucht, zumindest mit Cannes zu konkurrieren, was ich für absoluten Blödsinn halte. Cannes ist nach den Olympischen Spielen das größte Medienereignis der Welt, da kann Berlin gar nichts ausrichten. Berlin hat seine eigenen Qualitäten. Die Berlinale war der Ort der Begegnung zwischen Ost und West. Politik hat hier eine wahnsinnig große Rolle gespielt - eine viel größere als in Venedig, obwohl Venedig immer darunter gelitten hat, dass es eine Gründung aus der faschistischen Zeit ist. Und Cannes war und ist das Lieblingskind der französischen Kulturpolitik, die da viel Geld reinsteckt, weil das Festival ein Prestigeobjekt ist. Das war Berlin eben nie. Die deutsche Politik hat nie so richtig kapiert, was die Berlinale bedeutet.

Und welche Bedeutung hat sie?

Die Berlinale war ein Kind des Kalten Krieges, sie ist gegründet worden mit Blick darauf, dass es Festivals in Cannes und Venedig gibt, und außerdem ein A-Festival abwechselnd in Moskau und in Karlsbad. Berlin schob sich dazwischen, mit seiner besonderen Lage und politischen Situation. So lange die Mauer noch nicht gebaut war, gab es ja einen regen Zustrom aus Ost-Berlin. Es gab sogar spezielle Kinos, die die Festivalfilme für diese Besucher zu Dumping-Preise zeigten. Mit dem Mauerbau wurde dieses Publikum vom Festival abgeschnitten, und erst nach 1975 gelang es im Zuge der Entspannungspolitik, den Sonderstatus von Berlin aufzubrechen.

Hat die Berlinale auch heute noch, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung, eine politische Mittlerrolle?

1990, auf der ersten Berlinale nach dem Fall der Mauer, wurden die Festivalfilme ja erstmal auch in den Ostberliner Kinos gezeigt. Die Reaktionen dort waren völlig anders als in den Kinos in Westberlin. Wenn man das beobachtete und nur ein bisschen intelligent war, dann musste man einfach merken: So einfach wird das mit der Wiedervereinigung nicht, die Mentalitäten sind vollkommen verschieden. So war die Berlinale immer ein wichtiges Fieberthermometer für politische Befindlichkeiten.

Welches sind denn die Jahre, in denen in Berlin Filmgeschichte geschrieben wurde?

In den 60er Jahren hatte Berlin bei der Auswahl die Nase vorn, besonders, was die Nouvelle Vague anging. In Cannes ist 1959 zwar Truffaut für "Sie küssten und sie schlugen ihn" ausgezeichnet worden, aber im gleichen Jahr hat in Berlin Chabrol mit "Schrei, wenn du kannst" den Goldenen Bären gewonnen. Und im darauffolgenden Jahr ist Godard mit "Außer Atem" nicht nach Cannes gegangen, sondern nach Berlin und dann immer wieder, bis er 1965 den Goldenen Bären für "Alphaville" bekam.

Ähnlich war es mit den Italienern. "Die Nacht" von Antonioni ist 1961 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet worden, Francesco Rosi hat seinen berühmtesten Film "Wer erschoss Salvatore Giuliani" in Berlin gezeigt, und Pasolini wurde 1972 für "Die Erzählungen von Canterbury" geehrt. Auch Carlos Saura und Roman Polanski haben auf der Berlinale ihre frühen Filme aufgeführt. Es gab hier also eine gewisse Tradition des europäischen Kinos, die mittlerweile abgerissen ist. Vielleicht hat das damit zu tun, dass sich die Berlinale-Macher immer zu sehr bemüht haben, amerikanische Filme zu bekommen. Filmgeschichte hat die Berlinale mit europäischen Filmen geschrieben, nicht mit amerikanischen.

Wenn die Berlinale mit großem europäischem Kino glänzte, wo blieb dabei der deutsche Film?

Auch deutsche Filme sind immer wieder im Berlinale-Wettbewerb gelaufen, deutsche Produktionen von Jean-Marie Straub und Dani¡le Huillet oder Filme von Herbert Achternbusch. Rainer Werner Fassbinder war mit "Liebe ist kälter als der Tod", "Die Ehe der Maria Braun" und mit "Fontanes Effi Briest" in Berlin. 1982, in seinem Todesjahr, hat er dann den Goldenen Bären für "Die Sehnsucht der Veronika Voss" bekommen. Der deutsche Film wurde in Berlin nie unterbewertet: Wenn er nicht im Wettbewerb präsent war, dann jedenfalls im Forum.

Und ein deutscher Film, Michael Verhoevens Vietnam-Film "o.k.", hatte 1970 ja zum Skandal und fast zum Ende der Berlinale geführt. Immerhin hat das Festival damit bewiesen, wie politsch es sein kann.

Trotzdem war Berlin mit seinem Skandal zwei Jahre hinter Cannes zurück. Der Mai 1968 war in Frankreich etwas ganz anderes, die französischen Filmemacher der Nouvelle Vague waren viel stärker politisch involviert. Und sie hatten ein wacheres Publikum. Ich erinnere mich an eine bezeichnende Situation. 1968 hatte ich in Cannes die Unruhen miterlebt und war im Juli nach Berlin gekommen (das Festival fand damals noch im Sommer statt), voller Spannung, was jetzt hier passieren würde. In der TU gab es eine Diskussion mit den Vertretern des Jungen Deutschen Films, mit Alexander Kluge und Edgar Reitz, und die wurden von den Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie mit Tomaten und Eiern beworfen. Für die Studenten waren sie schon Establishment. Diese Regisseure saßen zwischen allen Stühlen: Sie wurden vom konservativen Publikum nicht respektiert und von den rebellischen Studenten erst recht nicht.

Der deutsche Film hat es bis heute schwer in Berlin. In Cannes und Venedig laufen mit viel größerer Selbstverständlichkeit französische und italienische Filme. Hier herrscht Distanz zu den einheimischen Produktionen.

Ich glaube, es gibt kein anderes Festivalpublikum, das so aggressiv ist wie das Berliner Publikum. Besonders aggresssiv ist es gegenüber nicht befriedigenden deutschen Filmen. Deshalb scheut sich mancher, seine Filme hier zu zeigen. Nicht nur deutsche Regisseure übrigens - es hat ja auch eine Weile lang amerikanische Produzenten gegeben, die gesagt haben: Um Gottes Willen, nach Berlin? Das ist ein viel zu heißes Pflaster. Wenn wir in Berlin mit einem Film auf dem Bauch landen, können wir die Auswertung in den deutschen Kinos vergessen.

Gilt das auch für die Filmkritik auf der Berlinale? Ist sie zu streng?

Sie ist aggressiver als in Cannes und Venedig. Vielleicht ist das erst so, seit die Berlinale im Winter stattfindet, denn der Ort und das Klima spielen tatsächlich eine Rolle. In Berlin ist man froh, wenn man wieder ins Warme kommt und sich in sein Hotelzimmer zurückziehen kann. Dann brütet man dort etwas Schlimmes aus, während man in Cannes oder Venedig draußen in der Sonne sitzt und sich austauscht - das ist ein ganz anderer Umgang mit Film. In Berlin hetzt man aneinander vorbei und trifft sich nur zufällig auf der Straße. Das heißt: So war es bisher. Das ändert sich vielleicht durch die neue Situation am Potsdamer Platz. Man unterhält sich auf den Gängen, im Foyer und im Café - vielleicht ergibt sich auf diese Weise am neuen Ort ein offenes Klima.

Herr Jansen[wie oft waren Sie schon auf der Berli]

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