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Berlin: Was antörnt

Jetzt beginnt die Wassersportsaison. Die Berliner erobern ihre Flüsse und Seen – egal bei welchem Wetter

So was vergisst man nicht. „Wir sind mal mit unserem Schiff zu Pfingsten hoch an die Müritz und kamen viel später an als erwartet. Unsere Bekannten haben trotz Kälte die ganze Zeit draußen gewartet – und uns mit Schifferklavier und Seemannsliedern empfangen“, sagt Seglerin Renate Zube aus Köpenick. Wahre Freundschaft gibt es nur unter Wassersportlern. Sagen zumindest die Wassersportler.

Eine Viertelmillion Berliner vergnügen sich auf Yacht oder Jolle, Surfbrett oder Katamaran, im Kanu oder Ruderboot, tauchen mit Maske und Flasche ab oder flitzen am Zugseil auf Skiern über das Wasser. Dieser Tage startet auf den Flüssen und Seen in und um Berlin die Wassersportsaison 2006 – die Region gilt wegen ihres Gewässerreichtums als eine der attraktivsten Binnenreviere Europas. Auch im Segelverein von Renate Zube, dem Köpenicker „Segel-Club Fraternitas 1891“, wird derzeit geschliffen, gewienert und poliert. 170 Segel- und Motorbootfreunde haben sich hier im wahrsten Sinne des Wortes vereint: Sie alle fühlen sich in dem Club, der als ältester Arbeitersegelverein Deutschlands gilt, zu Hause. Viele Mitglieder sind Handwerker, und damit das mehr als 12 000 Quadratmeter große Grundstück in Schuss bleibt, verpflichtet sich jeder bei Vereinseintritt, mindestens zehn Arbeitsstunden zu leisten. Da werden Gehwegplatten selbst verlegt, die Wasserrohre erneuert. Nicht nur die alten Segler made in GDR sind hier noch in sozialistischer Improvisierbauweise entstanden. Auch die individuellen Häuschen auf dem Vereinsgrundstück sind allesamt liebevoll in Heimwerkerarbeit fertiggestellt worden.

Improvisieren, das kann auch Renate Zube. Die 65-jährige Sportfreundin erinnert sich gern an alte Zeiten, als sie mit Mann, Sohn und Hund an Bord ihres damaligen Bootes das Abendessen auf kleinem Kocher zubereitete. Heute bietet ihr der Kielschwerter „Atlantis“ deutlich mehr Komfort – trotzdem halten sich die Zubes immer noch am liebsten an Deck auf. Bei Sonne. Bei Wind. Im Regen. Mit Blick auf die Weite des Wassers. Wenn das Schilf leise flüstert und die Blässhühner meckern. Schon nach wenigen Minuten auf dem Wasser ist man weit weg vom Alltag der Großstadt.

Das war schon zu Mauerzeiten so, als vor allem die West-Berliner Skipper in der Stadt havelauf, havelab von Grenze zu Grenze schipperten. In der ersten Euphorie nach der Wende buchten viele Vereine und Privatleute Liegeplätze im Umland, erinnert sich Frank Bittner, stellvertretender Vorsitzender des Segel-Clubs Fraterintas. „Doch inzwischen sind viele reumütig zurückgekommen, weil ihnen die Anreise dorthin zu lang ist“, bestätigt Gabriela Frommholz von der Yacht- und Bootswerft Horst Ruhs Am Großen Wannsee. Bei Fraternitas halten die meisten Segler indes wenig davon, mit Sonnencreme und Büchsenbier bloß ein paar Stunden herum zu cruisen. Renate Zube etwa ist begeisterte Fahrtenseglerin: „Sie glauben gar nicht, wie schön man auf dem Wasser in die Natur eintauchen kann.“ Das wissen auch die Reiseverkehrsexperten der Berliner und Brandenburger Tourismusgesellschaften. Längst werben beide mit der Wassersportregion Berlin, mit Charterbootanbietern für Hochzeiten und Ausflügen, mit Restaurants und Pensionen an und auf dem Wasser. Es gibt Bootsbau-Ausbildungsprojekte wie „Land in Sicht“ für benachteiligte Mädchen, ebenfalls in Köpenick, und Jugendzentren zu Wasser, nahe der Arena, nicht weit flussabwärts in Treptow. „Früher sind die Leute alle hoch an die Müritz nach Mecklenburg-Vorpommern gefahren“, erinnert sich Peter Twelkmeyer von Berlins größter Marina, der Marina Lanke in Spandau.

Inzwischen chartert seine Kundschaft – übrigens zu zwei Dritteln Berlin-Touristen – lieber in und um Berlin. Weil die Landschaft einfach mehr zu bieten habe: Etwa die Strecken bei Potsdam im Havelland, die an niederländische Landschaften erinnern mit Wiesen und Kühen und den Booten mittendrin. Oder die Gegend rund um den Scharmützelsee, mal hügelig, mal eben, mal urig, mal datschenbesäumt bis runter ans Ufer. „Da passiert ordentlich was“, sagt Skipper Peter Twelkmeyer.

Die Fahrtensegler von Fraternitas fachsimpeln auch gern über ihre Lieblingsausflugsplätze, etwa am Zeuthener oder am Möllenzugsee. Erinnern sich während der jährlichen Fahrtensegler-Pfingsttreffen in Köpenick an die Abenteuer zu DDR-Zeiten auf den Haffs und Bodden – damals war es wegen angeblicher Fluchtgefahr sogar verboten, mit einer Luftmatratze auf der offenen Ostsee herumzupaddeln. Heute engagieren sich die Fraternitas-Segelbrüder und -schwestern vor allem bei der Nachwuchsarbeit, dreimal bekam der Club dafür bereits eine Auszeichnung. Renate Zube musste bei ihrem Nachwuchs nicht besonders hinterher sein. Auch Sohn Frank macht gerade sein eigenes Boot Klarschiff für die Saison.

Annette Kögel

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