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Was macht die Familie?: Gottesteilchen suchen

Wie ein Vaterdie Stadt erleben kann.

Das Vertrauen der Deutschen in den Weihnachtsmann schwindet. Nach einer nicht repräsentativen Umfrage in unserem Haushalt glauben nur noch 50 Prozent der unter 11-Jährigen mehr oder weniger fest an seine Existenz, bei der anderen Hälfte überwiegen die Zweifel deutlich. Es sei denn, Knecht Ruprecht vermag seine Glaubwürdigkeit durch materielle Anreize zu steigern. „Ich wünsche mir einen iPod zu Weihnachten“, erklärte Emma meiner Frau. Als die versuchte, die Hoffnung unserer zehnjährigen Tochter auf Erfüllung ihres Begehrens zu zerstreuen, entgegnete Emma: „Ich dachte, der Weihnachtsmann erfüllt alle Wünsche.“

Offenbar ist auch der Weihnachtsmann von den Krisensymptomen unserer Zeit nicht verschont geblieben. Wo das Raubtier des Kapitalismus auf entfesselten Märkten wütet und Währungen, Werte und Kontinente ins Wanken bringt, zählt nur noch die Habenseite, und der segenbringende Rotrock teilt das Schicksal von Politikern und Managern, denen wir nichts mehr abnehmen, ehe sie uns nicht irgendwas zu bieten haben. Ob Griechen, FDP oder Weihnachtsmann: Entweder sie liefern, oder sie sind geliefert. Traurig.

Diese Neigung zur eher berechnenden als bedingungslosen Art des Glaubens ist besonders bei Erwachsenen ausgeprägt, vor allem mit fortschreitendem Alter, weil eine rechtzeitige Annäherung an den Vorgesetzten des Weihnachtsmannes ja Vorteile bringen könnte. Die Umfrage unter den Erwachsenen unseres Haushalts, beide mittleren Alters, ergab ein ausgeglichenes Ergebnis. Meine Frau gehört als Philosophielehrerin zu den Skeptikern, ich selbst stehe fest im Glauben und halte prinzipiell alles für möglich, dessen Nicht-Existenz nicht zweifelsfrei zu beweisen ist. Wenn jetzt selbst die Teilchenphysiker am Kernforschungszentrum Cern das sogenannte „Gottesteilchen“ entdeckt haben, um uns demnächst zu erklären, was die Welt im Innersten zusammenhält, dann bin ich überzeugt, dass in dem Modell auch Platz für den Weihnachtsmann sein wird.

Selig sind die Leichtgläubigen, die ohne Teilchenbeschleuniger auskommen und nur in sich hineinhorchen müssen, um zu wissen, dass es das eigene Herz ist, das den Himmel bewegt. Zu diesen glücklichen Menschen gehört unsere fünfjährige Tochter Greta, die dem Nikolaus einen Brief in den Stiefel steckte – und sich am nächsten Morgen dessen Antwortschreiben vorlesen ließ, ohne die Handschrift ihrer Schwester zu erkennen. Nur in den Keller darf Greta die nächsten drei Tage nicht, um ihren Glauben nicht zu erschüttern. Dort steht ihr neues Fahrrad, das ihr der Weihnachtsmann bringen wird. Stephan Wiehler

Stephan Wiehler

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