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Was macht die Familie?: In alten Fotos kramen

Wie ein Vaterdie Stadt erleben kann.

Vor gar nicht so langer Zeit habe ich an dieser Stelle über einen Ausflug mit dem großen meiner drei Jungs geschrieben, mit der Bahn nach Jülich und dann weiter über die Felder bis zu einem berühmten Solarturm. Nicht dass ich mich besonders für Solarenergie interessiere, aber das Kind hatte für seinen Mittleren Schulabschluss eine Präsentation vorzubereiten, und was tut ein vorbildlicher Vater nicht alles für die Bildung?

Muss aber schon ein bisschen länger her sein, denn der mittlere meiner Jungs, der damals mit glühenden Ohren meiner heldenhaften Solarturmsuche lauschte, ist jetzt selbst dran mit dieser Prüfung. In Planung war zunächst das Thema Japan, aber dann hat er sich mit einem Freund auf eine Zeit und Kosten sparende Variante geeinigt. Beide wollen sie erforschen, wie sich das Leben im Schatten der Mauer verändert hat, seitdem die Mauer nicht mehr da ist.

An diesem Punkt kommen Oma und Opa ins Spiel. Die wohnen nämlich an der Späthstraße, ziemlich genau dort, wo der Teltowkanal Neukölln und Treptow trennt. Die Späthstraße ist ein vierspuriger Zubringer für die neue Autobahn zum neuen Flughafen. Als Opa alte Fotos von Alleebäumen und einmündenden Sandwegen aus dem Keller geholt hat, da wollte nicht mal ich ihm glauben, dass es sich um ein und dieselbe Straße handelte.

Es gibt jetzt eine neue Brücke über den Kanal, nicht so schön wie die alte Jugendstilkonstruktion, aber was interessiert das die Autos schon. Zwischen Teltowkanal und der Autobahn – sie ist dank einer riesigen Lärmschutzwand kaum zu sehen – befindet sich der Spazier- und Fahrradweg. Natürlich habe ich den Jungs von diesem zivilisatorischen Fortschritt erzählt. Dass wir jetzt dort flanieren, wo früher Soldaten patrouillierten und auf Flüchtlinge schossen.

Der Junge hat nicht viel gesagt, was ich für ein stilles Zeichen der Zustimmung hielt. Später aber, als wir auf der neuen Brücke standen und auf die Autobahn schauten, hat er mir einen sehr prägnanten Vortrag gehalten: Die Schallschutzwand trennt doch Ost und West wie früher die Mauer! Und hat die Autobahn für spontane Fußgänger nicht ähnliche Auswirkungen wie der Todesstreifen? „So toll ist das mit dem zivilisatorischen Fortschritt auch nicht, Papa!“ Und überhaupt, „wofür brauchen wir eigentlich diese Autobahn? Der Flughafen wird doch eh nie fertig!“ Sven Goldmann

Der Fahrradweg neben dem Teltowkanal ist Teil des Berliner Mauerweges, der sich 160 Kilometer lang rund um das einst eingemauerte West-Berlin schlängelt.

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