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Was macht die Familie?: Mauern überwinden

Wie eine Mutterdie Stadt erleben kann.

Ich habe zwei Söhne, der eine ist ein schmucker junger Edelmann mit schwarzen Haaren, der andere eine kleine grüne Ente. Der junge Edelmann springt mit traumwandlerischer Sicherheit über Gräben, erklimmt Häuserwände, rennt über Dächer und durchschwimmt reißende Flüsse. Heldenhaft! Die kleine grüne Ente duelliert sich mit schwarzen Drachen und verwandelt sich dabei in ein flammendes Monster. Märchenhaft!

Im langweiligen analogen Leben, in dem man Schnupfen bekommt und an jeder Schuppenwand scheitert, sind die beiden 13 und 10 Jahre alt und haben Winterferien. Viel Zeit also für ausgiebige Spiele an der X-Box oder mit dem Nintendo, für virtuelle Welten aller Art.

Das finde ich über einen gewissen Zeitraum o.k. Hin und wieder möchte ich aber meinen Kindern auch eine Auseinandersetzung mit der realen Welt und ihrer Geschichte bieten. Am Sonntag hatte ich eine gute Idee: Wir gehen ins Mauer-Panorama! Bei der Gelegenheit wollte ich in groben Zügen die deutsche Geschichte erläutern, damit ich nie wieder hören muss, Hitler habe die Mauer gebaut oder ein paar Reste des prähistorischen Bauwerks seien kürzlich von Archäologen ausgegraben worden.

Den Kindern gegenüber warb ich für meine Idee: Dieses Panorama sei doch auch eine Art virtuelle Welt mit täuschend echten Menschen drin, mit Wänden, die es zu überwinden gilt, irgendwie heldenhaft, märchenhaft und grauenhaft zugleich! Man fühle sich dort – kann es Aufregenderes geben – wie die eigene Mutter vor 25 Jahren!

Der Große war noch nie unternehmungslustig, aber seine Ausreden werden immer raffinierter. Als Edelmann legt er laufend Leute um, nun wehrte er ab, plötzlich ganz moralisch: .„Ach nein, da geht’s um Mord und Totschlag.“ Und setzte noch eins drauf: „Da wird die Mauer verherrlicht!“ Nach langer Diskussion haben wir den Edelmann auf der Couch gelassen und nur die kleine grüne Ente mitgenommen.

Die aber war von dem Erlebnis sehr beeindruckt. Toll, wie echt das aussieht! Der Käfer an der Tankstelle, die Punks, der Fernsehturm, der Todesstreifen! Und der Soundtrack, auf dem Ernst Reuter die Völker der Welt auffordert, auf diese Stadt zu schauen. „Ist das Hitler?“, fragte das Kind. Am Ausgang sagte es über den faulen Bruder: „Der denkt, er lebt an einem normalen Ort. Dabei ist Berlin eine ganz besondere Stadt!“ Jawoll, dachte ich, pädagogisch befriedigt. Wenn Enten über den Mauerrand auf die echte Welt schauen, entdecken sie Erstaunliches. Dorothee Nolte

Asisi Panometer Berlin am Checkpoint Charlie, täglich von 10–18 Uhr.

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