zum Hauptinhalt

Was macht die Familie?: Rollen und ruhen

Wie ein Vaterdie Stadt erleben kann

Lina ist mit ihren drei Monaten noch neu in der Familie, so dass wir uns erst aneinander gewöhnen müssen. Bisher reden wir meist aneinander vorbei. Das liegt auch daran, dass Lina nur „Ärrö“ sagt. Ärrö ist wohl der Name einer noch unentdeckten Insel vor Lappland, aber für Lina ist „Ärrö“ eine Grundsatzrede: Großer Augenaufschlag, bedeutungsvoll gerollte Zunge, Blick ins Auditorium über der Wiege, einatmen, Ärrö.

Zieht sich das Publikum zurück, schaltet Lina die Sirene ein. Das ist gefährlich, seit die durch die Medien sensibilisierten Nachbarn gleich das Jugendamt rufen, das dann mit Blaulicht um die Ecke gequietscht kommt und nach getanem Einsatz ins Protokoll schreibt, dass die Wohnung vermüllt war. Stimmt ja auch, aber wir können das alles erklären. Man kommt mit Baby nämlich zu gar nichts mehr. Es geht hier nicht um Luxusmarotten wie Sport, Kino oder Kolumnenschreiben, sondern ums Minimalprogramm: einkaufen, aufräumen, Müll runterbringen.

All das muss in den Zeitfensterchen geschehen, in denen Lina schläft. Es widerspricht einschlägigen Ratgebern, die empfehlen, sich in solchen Phasen selbst hinzulegen. Dieser Tipp weist nicht nur den kürzesten Weg in die Verwahrlosung, sondern ist auch ungeeignet bei Kindern, die nur im Kinderwagen lange schlafen. Im rollenden Kinderwagen, wohlgemerkt. Der Schlummer kann schon beim Warten an einer roten Ampel in Krawall umschlagen, so dass man mit dem Wagen am Straßenrand tänzelt wie ein Jogger, dessen Trainingsplan keine Rotphasen vorsieht. Auch sollte die Bewegung fürs Kind deutlich spürbar sein. Insofern ist Asphalt ungeeignet und jeder Gehwegschaden willkommen. Alternativ akzeptiert Lina auch das Vorbeiziehen stetig wechselnder Baumkronen durch ihr Blickfeld.

Zeitnot macht erfinderisch, so dass den sogenannten jungen Eltern nur die Neuauflage des Perpetuum Mobile blieb: Kinderwagen im Garten unter einen Baum gestellt, ein Seil vom Griff zu einem biegsamen Zweig in Linas Blickfeld gespannt, fertig: Lina rudert mit Armen und Beinen, woraufhin der Kinderwagen schaukelt, so dass das Seil den Zweig wedeln lässt, worüber sich Lina derart freut, dass sie noch stärker mit Armen und Beinen rudert, woraufhin … Kurz: Wir hatten eine sehr erholsame Stunde. Stefan Jacobs

Besonders rumplige Gehwege gibt es in Wendenschloss an der Dahme. Am schönsten ist die Anreise über Grünau mit der BVG-Fähre (20-Minuten-Takt). Die Tour kann zum Strandbad (plus 10 Minuten Fußweg) oder in die Müggelberge (plus eine Stunde) verlängert werden. Die Enten am Möllhausenufer sind für Brotspenden dankbar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false