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Zwischen Mehl und Milch. Egal, wie warm es draußen noch ist – Weihnachten kommt bestimmt. Angesichts der Mengen an Süßigkeiten, die jährlich verdrückt werden, haben die Mitarbeiter im Bahlsen-Werk bereits im Spätsommer viel zu tun.

© Kitty Kleist-Heinrich

Noch drei Monate bis Weihnachten: Weihnachten vom Fließband in Berlin

In Tempelhof laufen die ersten Spekulatiuskekse vom Band. Zu früh? Umfragezahlen geben den Produzenten Recht.

Dick quillt der braune Teig über eine eiserne Rolle, dann tropfen kleine Teighäufchen auf das ziemlich flotte Fließband, etwas später sind Lebkuchen daraus geworden, die einen intensiven Backduft verströmen.

Ja, ist denn heut’ schon Weihnachten? Die 390 Mitarbeiter im Bahlsen-Werk Tempelhof dürfen die Frage mit „Ja“ beantworten. Apfel, Nuss und Mandelkern und was man so daraus machen kann, essen nicht nur fromme Kinder gern, wie der Dichter Theodor Storm annahm, sondern auch viele Mitarbeiter draußen in Tempelhof. Sobald der September naht, kriegten die „einen richtigen Japp“ auf das Gebäck, sagt Betriebsleiter Torsten Goschenhofer bei einer vorweihnachtlichen Besichtigung der einschlägigen Laufbänder. Den Heißhunger erklärt er damit, dass es in Deutschland, anders als beispielsweise in Polen, nur drei Monate im Jahr gefüllte Lebkuchenherzen, Zimtsterne und Spekulatius zu kaufen gibt. Aus seiner Sicht also eigentlich viel zu kurz, denn er greift schon jetzt sehr gerne kräftig zu., sagt er.

Mit den Lebkuchen ins Freibad

Andere wenden sich gruselnd ab, wenn sie schokoladenüberzogene Lebkuchen bei hochsommerlichen Temperaturen als Schwimmbadpicknick einpacken sollen. Die Weihnachtsfreude besteht doch eigentlich zu großen Teilen aus Vorfreude, und die killt man besonders nachhaltig, wenn man sich zu rasch den Appetit verdirbt, indem man etwa, während die Traubenernte noch in vollem Gange ist, Zimtsterne futtert, was das Zeug hält.

Weil es in den Medien alle Jahre wieder das Gegrummel gibt, die Weihnachtszeit beginne in den Supermärkten viel zu früh, hat sich Michael Hähnel, Geschäftsführer von Bahlsen Deutschland, mit repräsentativen Umfragen gewappnet. Erstens heiße das gar nicht Weihnachtsgebäck, sagt er und hält ein Paket mit Sternen in trendiger weißer Schokolade hoch. „Es heißt Herbstgebäck“. Weil der meteorologische Herbst schon letzte Woche begonnen hat, könnte man also auch sagen, dass der Keksfabrikant viel zu spät dran ist mit der Auslieferung.

Nach einer Umfrage des Unternehmens essen 91 Prozent der Deutschen Lebkuchen. Danach kaufen 81 Prozent der Verbraucher das Herbst- und Weihnachtsgebäck bereits vor der Adventszeit und 77 Prozent essen es dann auch schon. Die Umfrage des Marktforschungsinstituts Respondi zeige zudem, dass 80 Prozent der Verbraucher selbst entscheiden wollen, wann sie Weihnachtsgebäck kaufen und die ganze Aufregung nicht verstehen.

Tatsächlich verträten nur 20 Prozent die Meinung, dass der Staat regulierend eingreifen solle. Das sind wahrscheinlich diejenigen, die als Kind gelernt haben, dass der Nikolaus das erste Lebkuchenherz bringt, und weitere Weihnachtsplätzchen wirklich erst Heiligabend vernascht werden dürfen.

Wann kommen glutenfreie Spekulatius?

Die Zahlen sind auf Hähnels Seite. Danach isst jeder Deutsche pro Jahr 900 Gramm der weihnachtlichen – sorry – herbstlichen Süßigkeiten. Das ist, wenn man wirklich erst Heiligabend anfängt, ja kaum zu schaffen, besonders wenn man bedenkt, dass es bestimmt auch Lebkuchenabstinenzler gibt, so dass die anderen am Ende lässig auf über ein Kilo Verzehr kommen.

Allein im letzten Jahr haben die deutschen Hersteller insgesamt 81.000 Tonnen Herbstgebäck produziert. Davon gingen 18 Prozent in den Export. England ist der größte Markt außerhalb Deutschlands. Aber auch in den USA steigt die Nachfrage ständig. „Da gibt es auch eine große Anzahl an Weihnachtsmärkten“, sagt Hähnel. Auf seinen Schautafeln taucht immer mal der Ausdruck „emotionale Produkte“ auf. Auf die Frage, wie man sich emotional so umpolen kann, dass man ein Lebkuchenherz gefühlsmäßig auch mit Halloween am 31. Oktober in Verbindung bringt, reagiert er etwas strenger. Halloween sei zwar ein großes Thema, aber da gebe es ganz andere Leckereien.

Konservativ darf der Weihnachtsmann sowieso nicht mehr sein. Auf seinem Rentierschlitten sollte er innovative Snacking-Produkte gelagert haben, gern in wiederverschließbaren Packungen. Das lieben nicht nur gute Kinder, sondern auch hippe junge Leute: Eigentlich müsste es ja längst auch glutenfreie Spekulatius geben oder Produkte mit wenig Kalorien. „Health ist zwar ein großes Thema“, sagt Hähnel. „Aber nicht bei Weihnachten. Da geht es vor allem um Sünde und Genuss.“

Ob die Frauen, die mit ungeheuer geübten Händen unter strengsten hygienischen Bedingungen immer die genau richtige Anzahl von Lebkuchen vom Band greifen, unterm Weihnachtsbaum auch noch Appetit darauf haben, lässt sich bei dieser Besichtigung nicht klären. Die Konzentration darf nicht gestört werden. Jedes der fünf Werke in Deutschland und Polen ist auf unterschiedliches Herbstgebäck spezialisiert. Rund 6440 Tonnen werden ausgeliefert, was einer Länge von 77.000 Kilometern aneinandergereihter Spekulatiuskekse entspricht.

Sollte das Christkind aber mal auf Last-Minute-Modus umschalten, findet es einschlägiges Gebäck unmittelbar vor Weihnachten eher schon wieder weiter hinten im Regal. Egal wann man es kauft, Herbstgebäck hält sich meist bis zum 1. März. Dann lauert sowieso schon längst wieder der Osterhase im Regal.

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