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Berlin: Weihrauch und Pfingstrosen

Politiker sprechen über ihre geistigen Quellen

Welche spirituellen Quellen helfen Politikern bei der Arbeit? In visionsbedürftigen Zeiten ist das eigentlich eine gute Frage. Doch in den Bänken von St. Thomas von Aquin, der schlichten kleinen Kirche in der Katholischen Akademie, verlieren sich nur etwa fünfzehn Leute, ein junges Pärchen mit Rucksack, einige grauhaarige Frauen in gemusterten Kleidern, zwei oder drei Männer leicht jenseits des Mittelalters. Hier wollen sich Politiker zur Gretchenfrage äußern. Die Zuhörerzahl wird im Verlauf des Freitags zwischen drei und dreißig schwanken.

Die beste Quotenbringerin ist Claudia Roth, ausgerechnet. Nach einer gut katholischen Erziehung ist sie irgendwann aus der Kirche ausgetreten. Das gelbe Kirchentagsband, das sie um den Hals geschlungen hat, passt trotzdem gut zu ihrem lindgrünen Hosenanzug. Quellen der Kraft? „Vor allem sind es die Begegnungen mit Menschen“, sagt sie. Schwärmt vom Dalai Lama. Und von Oma und Opa, die 1919 Protagonisten der ersten ökumenischen Trauung in Ulm waren. Erzählt von Maiandachten und Karfreitagsmessen von so unglaublicher Intensität, dass sie dadurch zum Theater kam. Und davon, dass für sie Moral und Politik untrennbar miteinander verbunden sind.

Deutlich weniger Zuhörer haben die Abgeordneten Maria Böhmer (CDU) und Marita Sehn (FDP) und Synodalpräses Anneliese Kaminski. Der Eindruck verfestigt sich: Je mehr jemand in den Kirchenstrukturen verhaftet ist, desto weniger ist er bereit, über Persönliches zu sprechen, die Ebene des Abstrakten (und Unverfänglichen) zu verlassen. Böhmer erzählt von der evangelischen Großmutter, die ihren Sohn dem verstorbenen Vater zuliebe katholisch erzog und immer die Pfingstrosen aus dem Garten für die Fronleichnamsprozession stiftete. Dann kommt sie ohne Umschweife auf das Thema Familienpolitik zu sprechen. Anneliese Kaminski glaubt an Spiritualität zum Anfassen: die heilende Kraft von Weihrauch, der („jeden Morgen eine Messerspitze voll“) runtergeschluckt schwere Krankheiten heilen kann. Marita Sehn findet es wichtig, mehr Kindern zum Glauben zu verhelfen. Der CSU-Abgeordnete Alois Glück geht weiter und spricht von der „Gewissheit, getragen zu werden“, als hilfreiche Quelle bei wichtigen Entscheidungen.

Der stellvertretende Chefredakteur der „Zeit“, Bernd Ulrich, wird noch konkreter und ist schon einen Schritt weiter als Claudia Roth. Als junger Linker ausgetreten aus der Kirche, inspirierte ihn das erste Kind zur Rückkehr. Der Umzug aus dem Rheinland nach Berlin, wo er sich aufgrund seiner christlichen Orientierung unter den neuen Kollegen plötzlich mit dem Image „Exot mit offenbar schwerem Kindheitstrauma“ konfrontiert sah, habe ihn dann immer häufiger zu dem Bekenntnis veranlasst: „Ich bin Katholik – und das ist gut so.“

Am Abend, beim Empfang im Innenhof, dürfen die Fraktionsvorsitzenden ihre Wünsche äußern. Angela Merkel hofft auf größere Bereitschaft, einander zuzuhören, was in schwierigen Zeiten besonders wichtig sei. Wolfgang Gerhardt wünscht sich nachhaltige „Toleranz gegenüber anderen Lebensstilen“, Franz Müntefering Gebete für den Parteitag, und Katrin Göring-Eckhardt, Grüne und Theologin, wünscht sich, dass Christen sich auch außerhalb von Kirchentagen künftig deutlicher zu erkennen geben.

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