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Berlin: Weil es alle kratzt

Tourismus-Chef: So soll Berlin sauberer werden. S-Bahn erneuert Scheiben

Die S-Bahn tauscht derzeit an allen ihren Zügen die zerkratzten Scheiben aus – und kommt damit einer Idee von Tourismus-Chef Hanns Peter Nerger zuvor, der dies der BVG und der S-Bahn für die Fußballweltmeisterschaft 2006 vorgeschlagen hat. „Alle Züge gehen durch einen Jungbrunnen“, sagte Baubetriebsmanager Christian Morgenroth am Sonntag. „Bis zur WM wollten wir nicht warten“, sagte der S-Bahner, denn der Zustand der Züge sei nicht mehr schön gewesen. Dabei sind die Züge der S-Bahn recht neu, der letzte Zug ist erst vor einem Jahr in Dienst gestellt worden.

Doch gegen das Zerkratzen der Scheiben waren die beiden Berliner Verkehrsunternehmen machtlos. Bahn und BVG beseitigen zwar gesprühte Graffiti möglichst sofort, doch bei den Scheiben ist dies nicht so einfach. In vielen Zügen sind die Fenster bis zur Undurchsichtigkeit verschrammt und verkratzt. „Scratching“ heißt diese Form der Sachbeschädigung bei Jugendlichen. Vier Millionen Euro kostet der Vandalismus die S-Bahn pro Jahr, acht Millionen die BVG.

Wie viel die Sonderaktion kostet, die kurz vor Weihnachten abgeschlossen sein soll, konnte Morgenroth nicht sagen. „Die große Frage ist, wie lange das hält“, sagte der S-Bahn-Manager. Befürchtung: „Nach zwei, drei Tagen“ sehen die Scheiben wieder so aus. Noch drastischer formulierte BVG-Sprecherin Petra Reetz: „Wir kriegen einen sauberen Zug nicht heil über den Tag.“ Schon jetzt tausche die BVG regelmäßig Scheiben aus, „das ist eine Sisyphusarbeit“. Die S-Bahn kalkuliert für den Austausch einer Seitenscheibe 600 Euro – alleine die 1000 Waggons der neuesten Baureihe haben davon 12 000 und ebenso viele Türscheiben. Im Jahr 2003 hatte die S-Bahn die ausgetauschten Scheiben gezählt: 2325.

Tourismus-Chef Nerger fordert, dass die Stadt sauber werden müsse. Zerkratzte Scheiben stehen vor allem bei US-amerikanischen Touristen ganz oben auf der Beschwerdeliste. „So etwas kannte man in den USA nur in New York“, sagte Nerger. Nach dem Amtsantritt von Bürgermeister Rudolph Giuliani vor zehn Jahren sei damit auch in New York Schluss gewesen. Vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit fordert Nerger die „Motivationskraft“, um „die Stadt nach vorne zu bringen“. Die Fußball-WM sei der große Anlass, das zu packen. Doch auch Nerger ist skeptisch: „Der Berliner identifiziert sich nicht mehr mit der eigenen Stadt.“

Aus den Klagen, Beschwerden und Hinweisen von Touristen hat Nerger eine 30-Punkte-Liste entwickelt. Titel: „Steigerung der Attraktivität Berlins als touristisches Reiseziel“. Auf der Liste stehen unter anderem gepflegtere Mittelstreifen, häufigere Leerungen von Papierkörben, und Tütenspender für Hundehaufen. Zur Fußball-WM erwarten Tourismus-Experten eine nahezu ausgebuchte Stadt. 75000 der 83000 Betten werden während der 30-tägigen WM durchschnittlich belegt sein, schätzt Nerger, das sind über zwei Millionen Übernachtungen. Zudem werden die Bilder von der WM-Stadt rund um den Globus zu sehen sein – auch die von beschmierten Zügen, Denkmälern und Häusern.

Natürlich könne man nicht S-Bahn und BVG auf den Kosten des Scheibenaustausches sitzen lassen, sagte Nerger. Wie in den USA könnten auch Berliner die (finanzielle) Patenschaft für einen Straßenabschnitt oder einen Zug übernehmen, wünscht sich der Tourismus-Chef, Vorbilder für ein derartiges Bürgerengagement sei die Sanierung der East-Side-Gallery oder der Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche.

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