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Berlin: Wenn Engel tanzen

AUFTRITT DER WOCHE Jungchoreograf Eric Gauthier bringt neuen Glanz in die Weihnachtsshow im Friedrichstadt-Palast

Von Sandra Luzina

Diesen jungen Mann muss der Himmel geschickt haben. Eric Gauthier lächelt, schüttelt die dunklen Locken – schon ist das Eis gebrochen. Wie ein Wirbelwind fegt der Choreograf durch den Probensaal im Friedrichstadt-Palast und demonstriert die Schritte. „Das sind meine Engel“, sagt er und zeigt auf sechs Tänzerinnen. Der gebürtige Kanadier und Wahl-Stuttgarter ist für ein paar Tage in der Stadt, um an seinen vier Nummern für „Berlin erleuchtet“, die neue Weihnachtsshow des Friedrichstadt-Palasts, zu feilen. Ihre Flügel mit der enormen Spannweite tragen die Showengel noch nicht, stattdessen amüsieren sie sich mit Bällen. Und da ist Fingerspitzengefühl gefragt. Die Heliumbälle braucht man nur anzutippen, damit sie in die Höhe schweben. Doch die sechs Engel müssen sie alle gleichzeitig wieder fangen – was sich schon schwieriger gestaltet. Die Lektion in angewandter Physik macht ihnen sichtlich Spaß. „Das war die Vorgabe: bei den Tanznummern Bälle zu verwenden“, erzählt Gauthier, „eine echte Herausforderung.“

Dass mit ihm einer der gefragtesten Jungchoreografen für den Friedrichstadt-Palast arbeitet, lässt aufhorchen. Ballettdirektorin Alexandra Georgieva stellt klar, dass der Coup ihr zu verdanken ist. Als Gauthier im Februar der Deutsche Tanzpreis Zukunft 2011 verliehen wurde, hat sie ihn gleich angesprochen: Ob er nicht einmal für das Ballett des Friedrichstadt-Palasts choreografieren wolle? Andere junge Ballettkünstler wären da wohl in Schockstarre verfallen. Gauthier erbat sich eine kurze Bedenkzeit – und sagte zu. Was nicht nur die Tänzer glücklich macht, sondern dem Friedrichstadt-Palast auch ein anderes Publikum bescheren dürfte.

Es soll ja Ballettfans geben, die noch nie einen Fuß in das Haus gesetzt haben. Gauthier kennt keine Berührungsängste gegenüber der Glitzerwelt des Showbiz. Natürlich gab es einige Skeptiker, erzählt er, die ihm weismachen wollten, sein Engagement in Berlin sei nicht gut für seinen Namen. „Aber ich denke nicht so.“

Wer ihn so sieht, würde nie vermuten, dass er einmal der Publikumsliebling des Stuttgarter Balletts war. Gauthier glänzte nicht nur in klassischen und neoklassischen Rollen, er begeisterte vor allem als zeitgenössischer Tänzer. Kam ein Gastchoreograf nach Stuttgart, fiel die Wahl so gut wie immer auf den quecksilbrigen Kanadier. Von seinen Kontakten profitiert er heute noch, denn die Koryphäen wie Paul Lightfoot, Hans van Manen, Christian Spuck steuern gern mal Choreografien für seine Compagnie Gauthier Dance bei.

Der Tausendsassa hat immer wieder das Bedürfnis, mal kurz auszubrechen aus der Welt des schönen Scheins. Etwa bei Auftritten mit seiner Band Royal Tease, für die er Musik und Texte schreibt. Sanfter Songwriterpop zum Dahinschmelzen. „Ich habe mich nie als Rockstar gefühlt“, erklärt Eric Gauthier lächelnd, „aber die Musik hat mir gewisse Freiheiten gegeben. Im Ballett muss alles so perfekt sein. Jeder Schritt muss sitzen. In einem Rockkonzert kann ich auch mal ein Bier auf der Bühne trinken.“

Dass seine Choreografien von Bierernst durchtränkt sind, kann man jedenfalls nicht behaupten. Sein Markenzeichen sind kurze und kurzweilige Stücke, die vor Witz und Fantasie sprühen. „Ich brauche immer einen Inhalt, eine kleine Geschichte. Nur eine tolle Musik auszuwählen und darauf Schritte zu choreografieren – das ist mir zu wenig.“

Schon springt er auf und zeigt einen Ausschnitt aus „Punk Love“, zu dem er sich von Tattoomustern anregen ließ. Und dann muss er unbedingt noch die Bollywood-Nummer markieren, die er bei seiner Tanzgala zugunsten der Alzheimer-Forschung aufgeführt hat. Sein Vater Serge Gauthier ist ein bekannter kanadischer Alzheimerforscher – das soziale Engagement liegt also in der Familie.

Besonders am Herzen liegt ihm aber „Gauthier Dance Mobil“, die mobile Tanztruppe, die in Stuttgarter Krankenhäusern, Altersheimen und Jugendhäusern auftritt. „Wir bringen den Tanz zu jenen Menschen, die selbst nicht ins Theater kommen können. Diese Menschen haben meist keine Gelegenheit, etwas Schönes zu sehen.“ Deren enthusiastische Reaktionen scheinen Gauthier mehr zu freuen als jedes Kritikerlob. Ihn mag vielleicht nicht der Himmel gesandt haben, aber er macht viele Menschen glücklich.

Friedrichstadt-Palast; Voraufführungen seit 18. November, Premiere am 24. November, bis 26. Dezember. Theaterkasse des Tagesspiegels unter der Telefonnummer 29 021–521 (Mo bis Fr 7 Uhr 30 bis 20 Uhr).

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