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ARCHIV - 20.09.2022, Berlin: Autor Wladimir Kaminer steht im Pfefferberg Theater. Wenn es eigentlich nichts mehr zu lachen gibt, bleibt immer noch der Galgenhumor. Das gilt auch für Wladimir Kaminers jüngsten Ausflug in die Gegenwart, geprägt von Krieg und Klima in seinem neuen Buch "Frühstück am Rande der Apokalypse". (zu dpa "Bitterer Humor: Wladimir Kaminer verfrühstückt den Weltuntergang") Foto: Xamax/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Xamax

Wenn es ernst wird: Schriftsteller Wladimir Kaminer verfrühstückt den Weltuntergang

Wenn es eigentlich nichts mehr zu lachen gibt, bleibt immer noch der Galgenhumor. Das gilt auch für Wladimir Kaminers jüngsten Ausflug in die Gegenwart, geprägt von Krieg und Klima.

Von Roland Siegloff

Ein paar Sekunden haben wir noch: Zeit für ein „Frühstück am Rande der Apokalypse“. So heißt das jüngste Buch von Wladimir Kaminer, der 1967 in Moskau geboren wurde und seit 1990 in Deutschland lebt. Deutsche und Russen sind seither sein Thema. Gartenzwerge, Muckefuck und Hegel hie, die kaukasische Schwiegermutter, Tolstoi und Disko da. Geschichten mit Witz, bei denen Leserinnen und Leser amüsiert etwas lernen können.

Was macht so ein Autor, wenn die Lage plötzlich ernst wird? Er macht weiter. Aber anders als bisher. Der vergnügliche Ton, den das Publikum an Kaminers Schriften schätzt, weicht einem bitteren Humor. Es geht nicht mehr um Skurrilitäten in der Provinz („Mein deutsches Dschungelbuch“) oder die komplizierten Verhältnisse in vielen Familien („Rotkäppchen raucht auf dem Balkon“). Plötzlich steht der Krieg im Mittelpunkt und manchmal auch die Klimakrise.

Katastrophen, schreibt Kaminer, hätten die Zivilisation erst möglich gemacht. Nach dem Aussterben der Dinosaurier hätten sich die Säugetiere prächtig entwickelt: „Einige von ihnen sind später zum Beispiel Künstler, sogar Schriftsteller geworden.“ Und „ohne Künstler wäre der Planet zum Sterben langweilig“.

Der Schriftsteller verpackt den Schrecken kurzweilig. Er nimmt auch jene mit, die von der russischen Invasion in die Ukraine möglicherweise nichts mehr hören und sehen mögen. „Irgendwann taten die Nachrichten nicht mehr weh“, bemerkt Kaminer und stellt einige Seiten später fest: „Seit Anbeginn der Zeiten fließen die Tränen, und das Blut strömt, während anderswo die Menschen Fußball gucken und überlegen, zu welchem Weihnachtsmarkt sie gehen sollen.“

So knüpft Kaminer zwar an das aktuelle Zeitgeschehen an, bewahrt sich aber seine Liebe fürs Detail und den Blick aufs große Ganze. Wie er etwa in wenigen, eingängigen Sätzen die Jelzin-Nachfolge erklärt, kann Geschichtslehrern als Beispiel dienen. Nur die literarisch zugespitzten Zitate sollte man nicht allzu wörtlich nehmen.

Das gilt auch für die Kapitelüberschriften, die mit „100 Sekunden vor dem Weltuntergang“ beginnen und sich in absteigender Reihenfolge durch das Buch ziehen. „90 Sekunden vor dem Weltuntergang! Das ist doch Quatsch! Niemand weiß, wann die Welt untergeht“, bemerkte ein Achtjähriger beim Blick in das Rezensionsexemplar. Da hat er recht. Vielleicht endet Kaminers „Frühstück am Rande der Apokalypse“ deshalb mit dem Kapitel „86 Sekunden vor dem Weltuntergang“. Womöglich bleibt noch Zeit für ein zweites Frühstück. (dpa)

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