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Berlin: Widerstand gegen die Nulldiät

Wegen angeblich falscher Abrechungen soll eine Diabetes-Klinik geschlossen werden. Die Leiterin wehrt sich – mit prominenter Hilfe

Es ist eine ungewöhnliche Allianz, die sich zum öffentlichen Protest zusammengefunden hat: Schauspielerin Judy Winter, Starfriseur Udo Walz und Ex-DDR-Politbüromitglied Günter Schabowski. Alle drei leiden an Diabetes, gehen seit vielen Jahren zur Behandlung ins Austenat Diabetes Center in der Marburger Straße und fürchten das drohende Aus der Einrichtung, die mit rund 5000 Patienten im Quartal eine wichtige Anlaufstelle für Zuckerkranke in der Stadt ist. „Was da passiert, ist eine ganz große Gemeinheit!“ findet Günter Schabowski, und Udo Walz sagt: „Ich wäre sehr erschrocken, wenn es wirklich zur Schließung käme.“

Nicht nur die prominenten Patienten sind verunsichert und fürchten um ihre medizinische Versorgung, seit sich die Leiterin des Centers, die Diabetes-Spezialistin Elke Austenat, einen Schlagabtausch mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) liefert. Die KV hatte angeblich überhöhte Abrechnungen kritisiert, die Zahlungen reduziert und rund 700 000 Euro an Honoraren zurückgefordert. „Die wollen mich aushungern“, sagt Austenat. KV-Vizechef Uwe Kraffel entgegnet: „Eine einvernehmliche Lösung scheiterte bislang immer an der Dickköpfigkeit von Frau Dr. Austenat.“

Hintergrund der Auseinandersetzung ist ein komplizierter Rechtsstreit, dessen Vorgeschichte in den frühen Neunziger Jahren begann. Damals hatte Austenat das Ostberliner „Zentralinstitut für Diabetes und Stoffwechselkrankheiten“ in der Klosterstraße übernommen, mit Zustimmung des Abgeordnetenhauses.

Austenat übernahm die Angestellten und Patienten und verlagerte bald die Einrichtung nach Tempelhof, laut Kraffel der entscheidende Fehler: „Sie hätte nicht ohne Genehmigung über Bezirksgrenzen ziehen dürfen. Rein rechtlich hörte die Polyklinik damit auf zu existieren.“ Folglich seien die Abrechnungen, vorgenommen über ihren Kassenarztstempel, seit 1994 nicht mehr gültig. „Formaljuristisch mag der Umzug ja angreifbar sein“, sagt Günter Schabowski. „Aber soll man aus Prinzipienreiterei eine hervorragende Ärztin und ihre Patienten bestrafen?“

Brisant ist der Rechtsstreit auch angesichts der Vergangenheit der Ärztin: Austenat hat als Regimegegnerin zwei Jahre in DDR-Zuchthäusern verbracht, bevor sie 1984 vom Westen freigekauft wurde. Entsprechend groß war das ihr entgegengebrachte Vertrauen, als der Berliner Senat sich nach der Wende um eine Rettung der Klinik in der Klosterstraße bemühte, zumal Austenat dort ihre Medizinerkarriere begonnen hatte. Es war die Rückkehr an ihre alte Wirkungsstätte. Offenbar hat es die Politik damals versäumt, die Übergabe auf eine dauerhafte rechtliche Grundlage zu stellen, und über zehn Jahre hinweg hat die KV ihrerseits nichts unternommen gegen die von ihr als illegal eingestufte Abrechnungspraxis. „Wir wussten nichts davon“, beteuert Kraffel. „Es gab keine Duldung. Sobald wir Auffälligkeiten entdeckt haben, sind wir aktiv geworden.“ Kraffel sagt, die Abrechnungen seien erst vor wenigen Jahren in die Höhe geschnellt, Austenat bestreitet das.

Im Juni schien eine Einigung greifbar, der Anwalt der Ärztin hatte ein Konsenspapier erarbeitet, die KV signalisierte Zustimmung. Dann jedoch entschied sich der Vorstand gegen den Kompromiss, der ein Weiterarbeiten der Klinik sichergestellt hätte, wieder mit dem Hinweis darauf, „dass Frau Dr. Austenat nicht berechtigt ist, vertragärztliche Leistungen durch nicht genehmigte angestellte Ärzte erbringen zu lassen.“ KV-Vize Kraffel sagt, die Klinikchefin habe sich geweigert, die Namen der Ärzte zu nennen, deren Arbeit sie über ihren Kassenarztstempel abgerechnet hatte. Günter Schabowski hingegen vermutet eine Kampagne gegen eine erfolgreiche Ärztin aus der ehemaligen DDR, eine „Widerstandskämpferin“, wie er sagt, die viel Missgunst ihrer angepassten Kollegen aus Ost-Berlin auf sich gezogen habe. Im Interesse ihrer Patienten habe sie sich über bürokratische Hürden hinweggesetzt. „Klar, dass jetzt die Prinzipienreiter sagen, der drehen wir den Geldhahn ab – und behaupten, sie hätten vorher nie was gemerkt.“

Es ist die entscheidende Frage: Hat die KV über ein Jahrzehnt Rechnungen bezahlt, die das übliche Honorar einer niedergelassenen Ärztin um das Vielfache überstiegen und nur für die Größe einer Einrichtung mit mehreren Ärzten plausibel waren? Die von Austenat vorgelegten Abrechnungsdaten sprechen dafür.

Auch Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) scheint davon auszugehen, dass es so abgelaufen ist. Im Mai hatte sie die Konfliktparteien zu einem Gespräch geladen und dabei betont, dass Austenat aus ihrer Sicht Vertrauensschutz genieße, da das Abrechnungsverfahren über zehn Jahre lang nicht beanstandet worden sei.

Ihrerseits streitet die Senatsverwaltung jede Mitverantwortung an der entstandenen Situation ab. „Das ist eine Angelegenheit zwischen der KV und Frau Dr. Austenat“, sagt Behördensprecherin Roswitha Steinbrenner. Angesichts der verhärteten Fronten bleibt es jetzt bei allgemeinen Aussagen „Im Sinne der Patienten hoffen wir auf eine Lösung“, sagt ihre Sprecherin, versichert aber zugleich: „Selbst wenn das Diabetes-Center von Frau Austenat schließen müsste, brauchen ihre Patienten keine Angst zu haben. Ihre Versorgung ist gesichert.“

Judy Winter aber will auf das Vertrauen, das sie über Jahre hinweg zu Elke Austenat aufgebaut habe, nicht verzichten. „Ich fühle mich bei ihr sicher aufgehoben, sie ist eine fabelhafte Ärztin. Ich werde weiter für sie kämpfen.“ Am heutigen Montag will Austenat Klage gegen die Kassenärztliche Vereinigung einreichen.

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