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Das Ensemble des Kabaretts „Katakombe“ 1934 in Moabit bei einer Aufführung. Am 10. Mai 1935 wurde das Kellertheater auf Betreiben Joseph Goebbels geschlossen.

© akg-images

Hörbuch über Berliner Kabarettisten im Dritten Reich: Widerstand mit gewagten Spitzen - lebensgefährlich komisch

Humor in finsterer Zeit: Ein Hörbuch erinnert an die letzten mutigen Kabarettisten in Berlin nach 1933.

Es gab Momente, da war es totenstill im Kabarett „Katakombe“ an der Bellevuestraße 3 in Moabit, trotz des Humors in Werner Fincks Stimme. Wie festgezurrt saß das Publikum auf den Stühlen des kleinen, verrauchten Kellertheaters. Was der wortgewaltige Conférencier da mit Spott und Witz noch in den ersten Jahren der Naziherrschaft locker-plaudernd zum Besten gab, war zwar mehr als einen Lacher wert, aber auch lebensgefährlich.

In den vorderen Reihen lauerten Gestapo-Spitzel auf nazikritische Pointen und schrieben eifrig mit. Sie gehörten zu den regelmäßig zahlenden Gästen des politisch-literarischen Kabaretts, weshalb sich dessen Chef Werner Finck von der Bühne herab gerne direkt an sie wandte: „Entschuldigung, spreche ich zu schnell? Kommen Sie mit? Oder... muss ich mitkommen?“

Listige Versprecher. Werner Finck leitete das Kabarett "Katakombe".

© W. Seldow/Ullstein

Humor und Satire in finstersten Zeiten. Tatsächlich gab es in Berlin noch in den ersten Jahren des Dritten Reichs couragierte Kabarettisten, die mit gewagten Spitzen dem Regime trotzten. Denen es gelang, sich noch eine Weile in ihren künstlerischen Nischen zu behaupten. Durch geschicktes Jonglieren mit Sprache wie Werner Finck, der mit geplanten Versprechern eindeutige Zweideutigkeiten vom Stapel ließ und sich hinreißend in scheinbar zufällig abgebrochenen Sätzen und dem Vorhang verheddern konnte.

Friedrich Hollaender warnte vor der Tour nach "Nazilonien"

Anfangs fiel es den Nazis noch schwer, jene zur Strecke zu bringen, die sie mit Unschuldsmiene der Lächerlichkeit preisgaben und mit dem Florett der germanischen Keule entgegentraten. Allerdings nur bis zum Kriegsbeginn. Ab 1939 war die Keule endgültig mächtiger. Wer keine „kriegswichtige gute Laune“ verbreitete, wie von Propagandaminister Goebbels gewünscht, bekam Berufsverbot oder wurde deportiert.

Eine packendes Hörbuch mit zwei CDs von Feature- und Hörspielautor Stephan Göritz erinnert an diese letzten aufrechten Kabarettisten sowie an jene, die schon kurz nach 1933 emigrieren mussten, weil sie auf Verhaftungslisten standen – wie etwa Komponist und Chanson-Dichter Friedrich Hollaender. 1931 hatte er in Berlin sein „Tingel-Tangel-Theater“ eröffnet und dort im Chanson vom „Falschen Zug“ vor der Tour nach „Nazilonien“ gewarnt. Auch den Antisemitismus karikierte er treffsicher mit seinem Lied: „An allem sind die Juden schuld.“

"Ohne Humor wären wir nicht durchgekommen" heißt die Doppel-CD

Hollaender hatte Glück, ihm gelang in Hollywood eine zweite Karriere. Andere, die deportiert wurden, spielten ihr Talent sogar noch in Ghettos und Lagern aus. Erst heimlich, später teils von der SS geduldet, gaben sie dort kabarettistische Vorstellungen. Auch an dieses allerdunkelste Kapitel erinnert Göritz’ Hörbuch. Es ging darum, sich das Lachen zu bewahren, selbst im Grauen. Deshalb der Titel des Hörbuchs: „Ohne Humor wären wir nicht durchgekommen.“

Erwin Geschonneck hat das im Rückblick auf seine Haft gesagt. Er war in den 20er Jahren in Berlin KPD-Anhänger und später ein populärer DDR-Schauspieler. Ab 1939 überlebte Geschonneck drei Konzentrationslager. In Dachau parodierte er Hitler als Ritter Adolar in seiner Posse „Die Blutnacht auf dem Schreckenstein“ – derart raffiniert, dass es die Bewacher nicht merkten, wohl aber die Gefangenen.

Genial bissig. Friedrich Hollaender reimte „An allem sind die Juden schuld“.

© dpa

Mit klugen Kommentaren, viel Hintergrundmaterial und Originalaufnahmen von Werner Finck bis zu Karl Schönbeck, hat Stephan Göritz die Geschichte des Kabaretts nach 1933 veranschaulicht. Auch Einspieler heutiger Künstler, die Texte und Chansons von damals am Leben erhalten, sind dabei sowie Interviews mit Volker Kühn, dem 2015 verstorbenen Berliner Kabarett-Historiker.

Hörbuch-Autor Stephan Göritz ist Anfang März überraschend gestorben

Zuerst war diese spannende Hommage, kürzer gefasst, in zwei Sendungen der Deutschlandfunk-Reihe „Querköpfe“ zu hören. Im Februar schaffte es die Doppel-CD dann auf Platz 5 der Hörbuchbestenliste des Hessischen Rundfunks. Doch Stephan Göritz konnte sich daran nicht mehr lange erfreuen. Er ist am 4. März mit 57 Jahren überraschend verstorben. Kurz zuvor hatte er sich noch mit dem Autor dieser Zeilen getroffen, im Tagesspiegel sollte ein Porträt über ihn erscheinen.

Der kleine, stets höchst aufmerksam in die Welt blickende Radio-Journalist gehörte seit den frühen 80er Jahren zu den besten Kennern und journalistischen Begleitern der Kleinkunstszene. Erst als ständiger Mitarbeiter des DDR-Rundfunks, nach der Wende dann beim Deutschlandfunk. Für dessen Reihe „Querköpfe“ verfasste und moderierte er gut 111 Sendungen.

In fast vier Jahrzehnten hat Stephan Göritz systematisch Tondokumente für sein Privatarchiv gesammelt. So konnte er auch für sein letztes Hörbuch auf einen reichen Fundus zurückgreifen. Es war die Nummer Zwei in einer mit Leidenschaft geplanten Kabarett-Reihe. 2016 hatte er bereits das gleichfalls preisgekrönte Hörbuch „Krieg ist nicht gut für den Frieden – Kabarettisten und der Erste Weltkrieg“ herausgebracht. Und im Kopf hatte er schon zwei weitere Projekte: Kabarettisten im Kalten Krieg sowie in Zeiten des Terrors. Dazu ist er nicht mehr gekommen.

"Es geht um die Souveränität des Denkens und der Sprache"

Was ihm wichtig war, das brachte er so auf den Punkt: „Es geht mir um die Souveränität des Denkens und der Sprache. Die Gefahr ist ja nicht gebannt. Was all diese Geschichten und Lieder über Lachen und Lebensmut am Abgrund sagen, bleibt weiter gültig.“

Erstaunlich, wie lange es dem Kabarettisten Werner Finck gelang, die Lacher auf seine Seite zu ziehen und stets als letzter zu lachen. Seine eleganten Hakenschläge, sein sprachlicher Seiltanz ohne Netz und doppelten Boden brachten ihm auch außerhalb Deutschland so viel Beachtung ein, dass er Goebbels in Wutanfälle trieb. „Wenn wir morgen zu offen sind, sind wir übermorgen zu“, kolportierte Finck die latente Bedrohung. Oder: „Du alter Judenbengel!“ – „Entschuldigen Sie, ich bin gar kein Jude, ich sehe nur so intelligent aus.“

Ein Trio sang prophetisch: "Berlin wird erst schön durch ... Ruinen."

Endgültig dicht machte ihm das Regime sein Kellertheater erst 1935, verbunden mit einem Berufsverbot. Anlass für das Aus der Katakombe war der Sketch „Fragment vom Schneider“: Finck gibt einen Anzug in Auftrag. Zum Abmessen muss er den rechten Arm ausgestreckt heben. „33“ misst sein Gegenüber. Finck macht keine Anstalten, den Arm wieder zu senken. „Warum?“, fragt der Schneider. – „Aufgehobene Rechte.“

Werner Finck meldete sich später zur Wehrmacht, um weiterenVerfolgungen zu entgehen. Er überlebte den Krieg. Andere Kollegen wie die „Drei Rulands“ hielten sogar noch etwas länger auf der Bühne durch. Das Trio wurde 1939 verboten, nachdem es im Berliner „Kabarett der Komiker“ als vermeintliche Stadtbauarchitekten gegen Hitlers Pläne einer Hauptstadt Germania anging und prophetisch sang: „Berlin wird erst schön durch ... Ruinen.“

Annemarie Hase floh 1936 nach London und beteiligte sich mit parodistischen Sketchen am Programm des von dort ausgestrahlten „Feindsenders“.

© S. Pilz/picture alliance

Zu dieser Zeit waren die Sängerin Annemarie Hase und Komponist Werner Richard Heymann wegen ihrer jüdischen Wurzeln schon längst emigriert. Hase hatte im Berlin der 20er Jahre mit ihrer kräftigen Gießkannenstimme in Kabaretts Furore gemacht. 1931 sang sie Hollaenders Chanson „An allem sind die Juden schuld“, 1933 bekam sie Auftrittsverbot, 1936 floh sie nach London und versuchte den Deutschen von dort aus mit ironischen Radiosketchen die Augen zu öffnen. Seit 1938 strahlte die BBC Sendungen in deutscher Sprache ins Dritte Reich aus. Hase schlüpfte in die Rolle der „Frau Wernicke“, berlinerte "Nu ma rin in die Kartoffeln, wo wir nich ham" und warnte vorm Abhören des Feindsenders: „Radio zu weit gedreht? Hast Du nich’ jesehen, bistde schon en Volksschädling! – Auf Wiederhören.“

Werner Richard Heymann lehnte das Bleibeangebot der Ufa strikt ab

Und Werner Richard Heymann? Er war seit 1926 Generalmusikdirektor und Chefkomponist der UFA. Von ihm stammt die Musik für „Die Drei von der Tankstelle“, Evergreens, mit denen Lilian Harvey und Heinz Rühmann Riesenerfolge feierten. Außerdem vertonte er Chansons von Kurt Tucholsky, Walter Mehring oder Robert Gilbert. Als die Ufa 1933 all ihre jüdischen Mitarbeiter bis zu den Stars entließ, machte ihm der Vorstand ein „Bleibeangebot“. Man wollte sein Talent nicht missen. Doch Heymann lehnte ab. Aus Solidarität mit den herausgeworfenen Kollegen.

Unbeugsam solidarisch. Ufa-Chefkomponist Heymann, hier um 1955.

© p-a/dpa

Zu diesen gehörte auch Schauspieler und Regisseur Kurt Gerron. Er war zuvor ein Publikumsliebling auf der „Wilden Bühne“ Berlin, glänzte im Ufa-Film „Der blaue Engel“ als Zauberkünstler Kiepert, wurde 1928 bei der Uraufführung der Dreigroschenoper im Theater am Schiffbauer Damm umjubelt, als er die „Mackie Messer“-Moritat sang. 1944 deportierten ihn die Nazis nach Theresienstadt. Dort gründete er hinter Stacheldraht das Ghettokabarett „Karussell“. „Wir reiten auf hölzernen Pferden / und werden im Kreise gedreht“, sangen sie als Hymne. Gerron wurde in Auschwitz ermordet.

Parodierte Hitler im KZ. Schauspieler Erwin Geschonneck (rechts) überlebte drei Lager.

© Andreas Klaer

Der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky hat 2011 einen Roman über Gerrons Leben veröffentlicht. Zum Schluss des Hörbuchs wird ein O-Ton von Lewinsky eingespielt: „Sobald jemand das Gefühl hat, es gäbe nur einen Aspekt, und damit ließe sich alles erklären, wird es mir immer unheimlich. Der nächste Schritt ist dann sehr oft die Verfolgung Andersdenkender.“ Das ist auch Stephan Göritz’ Vermächtnis.

Zur Erinnerung an Stephan Göritz sendet der Deutschlandfunk am Mittwoch, 4. April, 21.05 Uhr, ein Porträt mit Ausschnitten seiner Sendungen und Wertschätzungen von Künstlern unter dem Titel „Der Querkopf Stephan Göritz– Porträt einer Radiostimme“. Auch in der "Bar jeder Vernunft" planen Künstler eine Gedenkveranstaltung, der Termin ist noch offen.

Stephan Göritz: Ohne Humor wären wir nicht durchgekommen – Kabarettisten und das Dritte Reich. Doppel- CD, duophon- records, 19,90 Euro.

© Promo

Stephan Göritz: Ohne Humor wären wir nicht durchgekommen – Kabarettisten und das Dritte Reich. Doppel- CD, duophon- records, je nach Anbieter 16,90 oder 19,90 €, https://pro-web.eu/duo-phon-records/

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