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Berlin: Wie sensibel!

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Haben wir es nur noch mit sensiblen Politikern zu tun, die immerfort über sensible Themen reden? Was wird nicht alles zum sensiblen Punkt erklärt, zum Beispiel der Kopftuchstreit, die zehn Euro beim Arzt, die Arbeitslosigkeit, die KitaGebühren, jede Kürzung von Haushaltsausgaben, überhaupt jede lästige Reform, so notwendig sie ist. Klaus Wowereit „weiß“, wie er kürzlich im Abgeordnetenhaus betonte, dass der Religionsunterricht „ein sensibles Thema“ ist.

Man kann es nicht mehr hören, das malträtierte Wort sensibel. Alles, was Umsicht und Vorsicht erfordert, was Emotionen weckt, was problematisch, schwierig oder schier unlösbar erscheint, gilt als sensibel. In hitzigen Debatten findet sich immer jemand, der mit dem Standardsatz vor Polemik warnt: Dazu ist dieses Thema zu sensibel! Das ist natürlich Unsinn. Es gibt sensible Menschen, mithin auch sensible Politiker. Doch Themen haben keine Gefühle. Sie können nicht empfindsam, nicht einfühlsam und auch nicht empfindlich sein.

Die Arbeitslosigkeit ist kein sensibles Thema, sondern ein riesengroßes Problem. Es gibt auch keine „ökologisch sensiblen Gebiete“, von denen dauernd die Rede ist, sondern ökologisch gefährdete Gebiete. Welch eine Wortarmut! Bewusst oder unbewusst wird durch eine strapazierte Vokabel verschleiert, was man treffsicher sagen könnte. Die Suche nach den richtigen Antworten auf komplizierte Fragen ist anstrengend, man liegt im Streit, man ist ratlos, man fürchtet Proteste gegen unangenehme Entscheidungen, man schiebt Beschlüsse auf. Und das nennt man dann den sensiblen Umgang mit sensiblen Themen. Es klingt so menschlich, ist aber bloß gemogelt. Wehe, einer geht entschieden aufs Ganze. Dann schallt ihm prompt der Vorwurf entgegen, er wolle sein Vorhaben durchpeitschen, wie unsensibel! Gewiss brauchen Politiker außer Argumenten auch Geschick und Fingerspitzengefühl, wenn sie etwas erreichen wollen. Doch das hat viel mit Vernunft und wenig mit Sensibilität zu tun.

Nur im Umgang mit ihresgleichen sind unsere Politiker nicht sehr feinfühlig. So hat die Grünen-Fraktion einen Antrag auf Reaktivierung von Staatssekretären im einstweiligen Ruhestand statt neuer Berufungen mit den vorhandenen „wertvollen Human-Ressourcen“ begründet. Es klingt einfach kalt, wenn man Menschen als „Human-Ressourcen“ bezeichnet.

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