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Berlin: WievielMauerbrauchtBerlin?

Vorschlag für einen Ort der Erinnerung in der Mitte der Stadt

Von Johannes Cramer Erst waren alle froh, dass die Mauer fiel. Dann waren viele irritiert, dass die Mauer so spurlos verschwunden war. Im Winter waren die meisten verblüfft, als der Wald von Kreuzen am Checkpoint Charlie aufgebaut wurde. Im Frühling hat die Senatsverwaltung ihr „Gedenkkonzept Berliner Mauer“ vorgelegt. Am letzten Donnerstag hat der Bundestag eine Gedenkstätte am Brandenburger Tor gefordert. Am kommenden Dienstag sollen die Mauerkreuze fallen. Ist damit alles klar? Wohl kaum.

Das MauerKonzept der Senatsverwaltung will die bekannten Orte verbinden und die Gedenkstätte in der Bernauer Straße ausbauen. Das ist gut und richtig. Schade nur, dass wenige Tage nach der Vorstellung des Konzepts der Abbruch der Mauer am Nordbahnhof für ein paar Beach-Volleyball-Felder weiterging. So ist es mit der Mauer in Berlin. Selbst die denkmalgeschützten Bereiche werden nicht respektiert, weil man viel zu wenig über die Mauer weiß. Ob das, was das Gedenkkonzept schützen und verbinden will, für die Geschichte des Mauerbaus repräsentativ ist, weiß niemand. Und: die diversen Betonwände, die jetzt im Blick der Planer sind, waren bekanntlich nur ein verschwindend geringer Teil der Grenzsperranlagen. Was ist mit der Fläche des Todesstreifens? Was mit dem Rest des Systems: Zäune, Gitter, Tore, Lampen, Kolonnenwege und Fahrstraßen …..? Vieles ist unwiederbringlich verloren. Beispielsweise die Stacheldraht- und Streckmetallzäune und vor allem die mehr als 300 Wachtürme. Kein einziger hat authentisch überlebt. Nicht zuletzt: Die Grenze verlief ja nicht nur durch Berlin hindurch, sondern auch um Westberlin herum. Darüber sagt das Gedenkkonzept zuständigkeitshalber überhaupt nichts.

Mehr authentische Mauer werden wir nicht mehr kriegen, weniger können wir uns nicht leisten. Rekonstruktionen sind wertlos. Deswegen greift das derzeit diskutierte Konzept zu kurz, wenn es „nur“ die bekannten Orte gedanklich und didaktisch verbindet. Die Ganzheit des Systems muss wieder lesbar gemacht werden. Es ist nicht akzeptabel, dass Reste der ersten Original-Mauer aus dem Jahr 1961 noch 2004 am Lehrter Bahnhof ebenso abgeräumt wurden wie im Januar 2005 die beiden letzten Baracken der Grenztruppe direkt neben dem Abgeordnetenhaus.

Wo also soll das Gedenken an die Mauer in Berlin stattfinden? Das Thema trägt nicht nur mehrere Orte, es fordert sie geradezu. Und es fordert auch, dass die Mauer präsent gemacht wird. Das zeigt jetzt auch die Bundestagsinitiative. Fototafeln allein reichen aber nicht aus. Die Holzkreuze führen in die Irre. Die stadträumlich erfahrbare Darstellung der Mauer ist unverzichtbar. Dafür ist eine bisher übersehene Fläche westlich des Abgeordnetenhauses bestens geeignet. Das Areal zeigt die Ausdehnung des Grenzstreifens samt Betonfläche dahinter; Teile der Hinterlandmauer und des zugehörigen rot-weißen Sperrbalkens sind noch erhalten. In unmittelbarer Nähe stehen an der „Topographie des Terrors“ 200 Meter Grenzmauer. Mit geringem Aufwand kann man durch Oberflächengestaltung und didaktische Einbauten, keinesfalls Rekonstruktionen, den Grenzstreifen und die Tiefe der Grenzanlagen lesbar machen. Knappe Beschriftungen informieren und weisen den Besucher in die Bernauer Straße.

Dieser Erinnerungsort ist damit keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung zu beiden vorliegenden Konzepten. Er reiht sich zugleich ein in die Folge anderer historisch geprägter Orte in der Mitte von Berlin vom Reichstag über das Brandenburger Tor, das Holocaust-Mahnmal und die „Topographie des Terrors“ bis zum Checkpoint Charlie. Nirgends sonst ist die Erinnerung an die Mauer so glaubwürdig eingebunden in die Geschichte von Berlin und die Erinnerung an die politischen Verhältnisse in Deutschland mit ihren dunklen Seiten. Berlin braucht diesen Ort.

Prof. Johannes Cramer lehrt an der Technischen Universität und stellt das Projekt am Montag, 20:00 Uhr, im Architekturgebäude der TU, Straße des 17. Juni 152, Hörsaal A 053, vor.

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