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Berlin: „Wir müssen nicht geizig sein“

Die Genehmigung einer Pflegestufe dauere fünf Wochen, sagt Barmer-Experte Parketny. Die Kassen entschieden dabei oft zugunsten der Versicherten

Herr Parketny, wie kommt man bei Pflegebedürftigkeit an die Zuschüsse im Rahmen der Pflegeversicherung?

Der Versicherte kann sich an die nächste Geschäftsstelle seiner Pflegekasse wenden und dort eine Begutachtung für eine Pflegestufe beantragen. Das reicht in mündlicher Form, aber zur Absicherung schickt die Pflegekasse auch noch ein Antragsformular zu. Anschließend begutachtet der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) den Pflegebedürftigen in seiner Wohnung oder zum Beispiel bereits im Krankenhaus und gibt eine Empfehlung für die Pflegestufe. Die Genehmigung erteilt die Pflegekasse. Das Verfahren von der Antragstellung bis zur Entscheidung dauert etwa fünf bis sechs Wochen. Im Entwurf zur Pflegereform, die ab dem 1. Juli 2008 gelten soll, wird diese Phase auf maximal fünf Wochen begrenzt.

Kritiker werfen den Kassen vor, sie würden aus Kostengründen Leistungen aus der Pflegeversicherung nur widerwillig gewähren. Müssen die Kassen geizig sein?

Nein, im Gegenteil: Die Pflegekassen legen in der Regel die Pflegestufen-Bewertungen des MDK zugunsten des Versicherten aus. Das heißt, wenn der MDK beim Zusammenzählen der Zeit, für die ein Pflegebedürftiger Hilfe benötigt, knapp unter den gesetzlich geforderten mindestens knapp 46 Minuten Grundpflege für die Pflegestufe I bleibt, prüfen die Pflegekassen, ob das Gutachten nicht doch Hinweise enthält, die für eine Genehmigung der Pflegestufe sprechen. Alles andere wäre auch unangemessen. Man stelle sich vor, solche Grenzfälle würden vor den Sozialgerichten landen, wo eine Entscheidung Monate oder Jahre dauern kann. Diese Zeit hat doch ein Pflegebedürftiger nicht.

Kann das Budget für die Pflegezuschüsse – etwa am Ende eines Jahres – auch mal ausgeschöpft sein?

Nein! Ein Finanzausgleichsfonds gewährleistet, dass die Kassen mit vielen Pflegebedürftigen von denjenigen unterstützt werden, die wenige Pflegebedürftige unter ihren Versicherten haben. Die Barmer zum Beispiel hat bei bundesweit rund sieben Millionen Versicherten rund 200 000 Pflegebedürftige, davon 70 000 in der stationären Pflege. Die Pflegekassen müssen bei der Gewährung von Leistungen aus der Pflegeversicherung auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften entscheiden. Finanzielle Erwägungen spielen dabei keine Rolle, den Versicherten wird also nichts vorenthalten.

Aber die Zuschüsse decken nur einen Teil der tatsächlichen Kosten ab.

Die Pflegeversicherung war von Anfang an nicht als Voll-, sondern als Teilabsicherung gedacht. Das heißt, es wird nur ein Teil der tatsächlichen Kosten etwa für ein Pflegeheim abgedeckt. Und die Situation hat sich verschärft, weil seit 1995 die Zuschüsse der Pflegekassen nicht angepasst wurden. Mit der Pflegereform soll es im kommenden Jahr zumindest schrittweise Anpassungen geben

Wohngruppen für Demenzerkrankte gelten Experten als gute Alternative zur Betreuung im Heim. Gleichzeitig kritisieren sie, dass die Pflegekassen diese Form zu wenig unterstützen, etwa bei der Finanzierung von Personal. Sind diese Wohngruppen ein Irrweg?

Nein, wir befürworten diese Form, denn es muss zwischen ambulanter und stationärer Pflege einen Mittelweg geben – auch aus Kostengründen. Die Betreuung in Wohngruppen ist oft sinnvoller und auch preiswerter als die Einweisung in ein Heim. Wir unterstützen auch das Vorhaben, die Wohngruppen aus der Zuständigkeit des Heimgesetzes herauszunehmen und als ambulante Pflegeeinrichtung anzuerkennen – etwa unter einer Größe von zum Beispiel zwölf pflegebedürftigen Bewohnern. Das würde auch die Voraussetzungen, die diese Einrichtungen erfüllen müssen, weniger kompliziert gestalten. Ob eine Verbesserung des Personalschlüssels für diese Betreuung nötig ist, kommt darauf an, wie sich diese Wohngruppen zusammensetzen, ob sie zum Beispiel auch die Arbeit von ehrenamtlichen Helfern mit einbeziehen.

Derzeit gibt es drei Pflegestufen plus Härtefälle, die sich auf die zeitliche Hilfsbedürftigkeit eines Menschen beziehen. Nun sollen weitere Kriterien hinzukommen, etwa die mangelnde Alltagskompetenz. Wieviele Pflegestufen wird es in Zukunft geben?

Das ist noch völlig offen, ob es drei oder mehr sein werden. Derzeit wird an einem Kriterienkatalog gearbeitet, der auch praktisch erprobt werden muss. Ende des Jahres 2008 werden wir erst wissen, wie der Begriff der Pflegebedürftigkeit in Zukunft aussieht.

Peter Parketny (54) ist Abteilungsleiter für „Pflegeversicherung, Häusliche Krankenpflege“ in der Hauptverwaltung der Barmer Ersatzkasse in Wuppertal. Mit ihm sprach Ingo Bach.

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