zum Hauptinhalt

WM 2014: Ich, der Fußball-Rohrspatz

Wenn das Nutella-Brot nicht auf die falsche Seite fällt, kann nichts schief gehen beim Spiel Deutschland:Portugal. Falls doch, kennt unsere Kolumnistin ein sicheres Mittel.

Heute werde ich um 17 Uhr den Stecker aus der Telefondose ziehen, mein Mobiltelefon ausschalten, die kaltgestellten Getränke vor mir aufreihen, die XXL-Packung Sonnenblumenkerne öffnen und dem Anpfiff entgegenfiebern. Eigentlich wollte ich den Ball diesmal flach halten, nach dem, was ich über diese Weltmeisterschaft gelesen habe: von den Milliarden, die bis in den Regenwald verbaut wurden, der Steuerfreiheit der Fifa, Korruption, gekauften Spielen bis zu den Menschen, die in Asien Trikots, Schuhe und Bälle im Akkord herstellen.

Keine Bundesliga, dafür aber WM

Die Fanartikel mit den drei Streifen konnte ich noch boykottieren, aber schon bei der Schwarz-Rot-Gold-Deko mit Fähnchen, Banderolen und Schminke musste ich meiner Tochter nachgeben. Und meine erfundene Ausrede, dass die Türken diesmal keine Zeit gehabt hätten, ließen ihre Klassenkameraden als ziemlich fade Mogelei auffliegen.

Jammern meine Berlin-Besucher sonst immer darüber, dass man sich in Berlin einen Wolf sucht, um am Wochenende Bundesliga schauen zu können, ist die Stadt nun gepflastert mit Public-Viewing-Arenen. Fanmeile am Brandenburger Tor, Haus der Kulturen der Welt, Alte Försterei, Mauerpark und aberdutzende Kneipen.

Ab unter Leute und heiser schreien

Die Vorrundenspiele schaue ich mir aber in kleinster Runde an. Ich will wissen, wie sich die Favoriten und Geheimfavoriten schlagen und welcher Außenseiter für Furore sorgt. Meine Fußball-Liebe geht so weit, dass bei mir sogar die Spielpaarungen Not gegen Elend nebenher mitlaufen. Fußball integriert Herz und Verstand, wobei ich als MSV-Duisburg-Fan und Besiktas-Anhängerin von klein auf das Leiden lernen musste. Spätestens dann, wenn es bei der WM in die K.O.-Runde geht, jedes Spiel das letzte sein könnte, muss ich raus unter Leute und mich heiser schreien.

In meinem Freundeskreis sind bi-nationale Paare, die alle möglichen Wetten laufen haben, wer was für wen im Falle einer Niederlage tun muss. Klar, dass ich meiner Mannschaft die Daumen drücke und den Holländern, Engländern, Franzosen, Italienern und Spaniern gegen uns nur das Schlimmste wünsche. Aber nachdem ich wie ein Rohrspatz geschimpft habe, ist es auch wieder gut. Mit dem Abpfiff bin ich wieder herzallerliebst zu allen.

Sieg für die Buntesrepublik der Vielfalt

Jetzt gibt es eigentlich nur noch drei Dinge, die schiefgehen könnten: Merkwürdige Schiedsrichterentscheidungen (wie schon geschehen), Jogi Löws Ausrichtung der Mannschaft (wer nominiert schon einen Verteidiger für Marco Reus nach) – oder bei der DFB-Elf fällt das Nutella-Brot beim Frühstück auf die falsche Seite.

Damit wir wieder unbeschwert in einem Fahnenmeer schwelgen können und nach einem Sieg unserer Mannschaft hupende Autos im Schritttempo durch die Stadt fahren, setze ich auf unsere Berliner Deutschtürken. Ansonsten freue ich mich, wenn unsere Jungs der Welt zeigen, dass die Buntesrepublik Deutschland ihre Stärke aus der Vielfalt zieht.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Sabir acidir, meyvesi tatlidir.“ Geduld ist bitter, die Früchte umso süßer.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false