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Berlin: Wohnkultur von Weltrang

Unesco berät über sechs Berliner Siedlungen

Heute oder am Montag könnte Berlin um ein Welterbe reicher sein: Dann entscheidet die Unesco auf ihrer Tagung im kanadischen Quebec, ob sie sechs Wohnsiedlungen aus den 20er Jahren in die Weltkulturerbe-Liste aufnimmt. Weltweit sind es derzeit 851 Bauten mit „universellem menschlichen Wert“, die die Unesco für besonders schützenswert hält, darunter der Tempel von Abu Simbel oder die Altstadt von Brügge. 2006 hat Deutschland die Aufnahme der sechs Berliner Siedlungen beantragt. Es wäre das dritte Welterbe in der Stadt neben der Museumsinsel und der Berlin-Potsdamer Park- und Schlösserlandschaft.

Die Siedlungen entstanden nach dem Ersten Weltkrieg, als Architekten wie Bruno Taut die Menschen aus den dunklen Hinterhöfen der Kaiserzeit herausholen wollten. Sie entwarfen frei gestellte Wohnblöcke mit reichlich Licht und Luft. Das geschah auch in anderen Großstädten, aber nirgends so früh und in so großem Maßstab wie in Berlin. Klare Formen, ausgeklügelte Farbgebung und einheitlich gestaltete Details wie Türknäufe machen die Siedlungen zu herausragenden Beispielen der frühen Architekturmoderne.

Die Großsiedlung in Britz ist wegen der markanten Form des zentralen Hufeisens die berühmteste der sechs Siedlungen. In ihren zahlreichen Nebenstraßen mit zweigeschossigen Reihenhäusern kann man gut beobachten, was passiert, wenn einzelne Häuser aus dem Besitz der Gehag entlassen und privatisiert werden: Jeder Hausbesitzer installiert andere Tür- und Fensterrahmen, die einheitliche Wirkung des Gesamtkunstwerks ist dahin. Der Verein der „Freunde und Förderer der Hufeisensiedlung“ will den U-Bahnhof „Parchinger Allee“ in unmittelbarer Nähe der Siedlung am heutigen Sonntag um 11.55 Uhr symbolisch in „Hufeisensiedlung“ umbenennen. In einem offenen Brief an Senat und BVG setzt sich der Verein für eine offizielle Umbenennung des Bahnhofs ein, damit Architekturtouristen die Wohnsiedlung künftig leichter finden.

Bemerkenswert sind auch die anderen Siedlungen. Die Gartenstadt Falkenberg bei Grünau zum Beispiel spielt mit expressiven Farben, was ihr anfangs den Spottnamen „Tuschkastensiedlung“ eintrug. In der „Weißen Stadt“ in Reinickendorf dominiert dagegen eine einzige Farbe. Egal, ob man in der Wohnstadt Carl Legien, der Siedlung Schillerpark oder in Siemensstadt spazieren geht: Überall spürt man den Sinn fürs Ganze und die Liebe zum Detail. Geistlos aufeinander geschichtete Wohnbatterien wie in Marzahn oder Gropiusstadt sucht man hier vergebens. Das kam erst später. Udo Badelt

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