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Wolfgang Stapp (1927-2017)

© privat

Berlin: Wolfgang Stapp (Geb. 1927)

Das Studium stockte, doch blühte die Liebe

Was sie gemeinsam haben? Alle vier sind Töchter. Ja. Aber das ist zu offensichtlich. Also? Genau. Alle ihre Namen haben etwas mit Goethe zu tun. Da ist Dorothea, die arme Vertriebene aus „Hermann und Dorothea“. Dann Christiane, keine fiktive Figur, sondern Goethes Ehefrau, Christiane Vulpius, über die die Damen aus Weimar feixten. Die dritte, Henriette, nach Charlotte Sophie Henriette Buff, der Lotte aus „Die Leiden des jungen Werther“. Und zuletzt Philine, eine Schauspielerin aus „Wilhelm Meisters Lehrjahren“, die jeden Mann bezaubert. Doch hätten die vier, wären sie drei Jahrzehnte später auf die Welt gekommen, auch Lene, Jenny, Cécile und Effi heißen können, denn drei Jahrzehnte später war Wolfgang Stapp nicht mehr innigst mit Goethe verbunden, sondern, wie es eine der Töchter sagt, „mit Fontane verheiratet.“

Von seinem Vater kam das Schöngeistige nicht. Dieser trug den Titel des Oberregierungsrates und beschäftigte sich bei der Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft mit der Kartoffelzucht. Seine Mutter war die Musische. Als der Vater wegen des Berufs nach Braunschweig musste, blieben er und die Mutter in Berlin und holten 1946/47 unablässig nach, was ihnen die geistlose Zeit zuvor verdorben hatte: Theater, Filme, Konzerte. Und dann gab es diesen Lehrer, der auch schon vor 1945 Bücher besaß, die er nicht hätte besitzen dürfen, von Brecht, Zuckmayer, Thomas Mann, Bücher, von denen die Schüler noch nie etwas gehört hatten und die der Lehrer jetzt wieder herausholte und bei sich zu Hause vorlas.

Bildung musste nachgeholt werden, das Abitur sowieso. Denn Wolfgang war mit 16 in eine Uniform mit Hakenkreuzbinde gezwängt worden und pendelte zwischen Schule und Flak-Stellung. Anfang 1945 zog man ihn ein in eine Division, die eng an die SA gebunden war, was bedeutete, dass er nach dem Krieg zunächst nicht studieren durfte. Er musste erst „entnazifiziert“ werden.

Was tun? Literatur wollte er eigentlich studieren, also begann er eine Lehre als Verlagsbuchhändler. Der Verlagschef wollte Brechts „Songs aus der Dreigroschenoper“ herausbringen und überreichte Wolfgang das Manuskript zur Korrektur. Der war verblüfft, denn der Text enthielt ein hübsches Potpourri an Grammatikfehlern. Also nahm Wolfgang einen Stift und verbesserte. Brecht war es zu dieser Zeit noch untersagt, sich in den westlichen Alliiertengebieten aufzuhalten und wohnte im unzerstört gebliebenen Seitenflügel des „Adlon“ in Ost-Berlin. Wolfgang, seine Interpunktionsvariante in der Hand, betrat das Hotel, weiche Teppiche, Pagen im Frack, und überreichte sie dem Dichter. Der sagte nichts, zunächst. Doch kaum allein, rief er im Verlag an und fauchte in den Hörer, welchen Nazijüngling man da eingestellt habe. Wolfgangs Korrekturen wurden trotzdem übernommen.

1949 schrieb er sich an der „Freien Universität“ für Germanistik ein. Arbeiten musste er nebenbei dennoch, denn sein Vater weigerte sich, einen Pfennig dazuzugeben, nicht wegen des Studiums, sondern wegen des Studienortes. Berlin, davon ging er aus, würde bald von den Sowjets geschluckt werden. Also heuerte Wolfgang bei Verlagen an, schnallte einen mit Büchern vollgepackten Koffer auf sein Fahrrad und fuhr als Vertreter zwischen Flensburg und Frankfurt von Buchhandlung zu Buchhandlung. 1953 gründete er einen eigenen Verlag. Sein erstes Produkt: ein Berlin-Kalender mit Schwarz-Weiß-Fotografien von Fritz Eschen. So etwas gab es damals nicht: Wer würde sich schon für Berlin interessieren? Viele! Der Kalender verkaufte sich großartig. Also machte er weiter, auch mit Büchern über Berlin, über Brandenburg.

Das Studium stockte, doch blühte die Liebe. Helga kam aus betuchtem Haus und besaß eine Lambretta für amouröse Fahrten zu zweit, für eine mühelosere Beförderung der Bücher allein. Als Eltern waren sie großzügig: Als eine der Töchter vergebens in ihrer Schule um einen Raum für die AG „Karl Marx“ gebeten hatte, sagten sie: „Dann kommt doch zu uns“. Die jungen Kommunisten saßen nun wöchentlich auf den Stappschen Brokat-Stühlen, rührten mit Silberlöffeln im Tee und besprachen die Revolution.

Wolfgang hatte inzwischen die Werbeleitung des Fischer-Verlages übernommen, begleitete auf Lesungen Paul Celan, Luise Rinser und Hilde Domin, die jedes Gedicht zweimal vortrug, „zum besseren Verständnis“. Er trat den Rotariern bei, sang in der Singakademie, quälte sich mit seiner schiefen Hüfte, Folge eines Autounfalls, und wanderte mit Mitte 60 noch 100 Kilometer weit. Dozierte für sein Leben gern, leitete Stadtführungen, sagte nie: „Man müsste mal …“ sondern nur: „Ich mache …“, fand während einer Fontane-Exkursion im Schlosspark Paretz eine verschüttete Grotte aus dem 18. Jahrhundert, setzte sich für deren Instandsetzung ein, leitete weiterhin seinen Verlag und empfand immer, bis zum Ende, diese ungeheure Freude, ein Buch, frisch aus der Druckerei, in seinen Händen zu halten.

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