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Berlin: Wunschzettel-Träume

Eine Ausstellung erzählt die Geschichte der Weihnachtsgaben für Berliner Kinder seit 1800

Die Puppe mit den Kullertränchen schien unerreichbar. Ines aus Pankow hatte sie nur einmal bewundert, als ihre Eltern 1971 zu Hause Westfernsehen guckten und gerade die Werbung lief. Diese Puppe von der US-Firma „Mattel“ konnte ein paar Tränchen weinen, trinken und pinkeln. Ein Traum für das fünfjährige Mädchen, den allerhöchstens der Weihnachtsmann erfüllen konnte. Trotz Mauer und Stacheldraht. Also malte Ines die Kullertränchen-Puppe auf ihren Wunschzettel – und tatsächlich: Am „24“ war sie abends das Stargeschenk. 25 Jahre später entdeckte Ines den alten Wunschzettel im Morgenmantel ihrer Großmutter. Oma durfte schon in den Siebziger Jahren als Rentnerin in den Westen fahren und hatte die Puppe damals fürs Begrüßungsgeld gekauft.

Seit Sonntag sitzt Ines’ Lieblingspuppe im Sommerkleid in einer Vitrine im Museum Ephraim-Palais der Stiftung Stadtmuseum in Mitte. Auf einer Tafel steht ihre Geschichte geschrieben, und sogar ein Foto der Puppen-Mutti Ines gleich nach der Bescherung ist zu sehen. Denn gestern wurde im Palais pünktlich zum 1. Advent eine Ausstellung mit Weihnachtsgaben für Kinder aus zwei Jahrhunderten eröffnet. Titel: „Schöne Bescherung!“

Von Blechauto und Kaufmannslade bis zum Playmobil und Plastikran wird hier gezeigt, wie sich der Inhalt der Geschenkpakete seit dem frühen 18. Jahrhundert wandelte, als sich die Weihnachtsbräuche für die Jüngsten erfreulich veränderten: Vom Kirchenfest zum Bescherfest. Eltern mit ihren Kindern und alle, die Spielzeug mögen, werden ihr Vergnügen am Spaziergang durch diese Schau haben, weil zu fast allen Exponaten eine Geschichte gehört, die man sich vorlesen kann. Es sind kurze Einblicke in Berliner Familien. Manches Spielzeug haben sie über Generation vererbt, aber irgendwann dem Stadtmuseum gespendet.

Zum Beispiel die Blechautobahn mit Aufzieh-Pkws, ein Geschenk für Robert 1935. In Deutschland hatte man gerade begonnen, Schnellstraßen nach US-Vorbild zu bauen. Oder den selbstgebauten Doppeldecker-Holzomnibus für die Linie zum Bahnhof Zoo aus dem Jahre 1944. Bomben fielen damals vom Himmel, die Spielzeugproduktion war eingestellt, Vater Kurt Herzer aus Mitte baute für seine Jungs Lutz und Ulf den Bus.

So reflektiert die Schau am Beispiel des Spielzeugs auch die Lebensbedingungen der Zeit und die technische Entwicklung. Und sie bewahrt mit einer Puppe der Fabrik „Sonneberger“ aus Thüringen die Erinnerung an das jüdische Mädchen aus Weißensee, das 1940 mit seiner Mutter verängstigt im Kolonialwarenladen um die Ecke einkaufte. Dessen Besitzerin hatte Mitleid und bestellt für die Kleine zu Weihnachten die wunderschöne Puppe im himmelblauen Kostüm. Doch als sie ihr Geschenk überreichen wollte, hatten die Nazis das Mädchen gerade fortgebracht.

Ephraim-Palais, Poststraße 16 im Nikolaiviertel, geöffnet bis 7. Januar, Di. u. Do.-So., 10-18 Uhr, Mi., 12-20 Uhr. 5 Euro (erm. 3 Euro), Mi. frei. Tel.: 24002-121. Der Besuch lässt sich gut mit einer zweiten für Kinder spannenden Ausstellung im Palais verbinden: „Affentheater und andere Viechereien“ zur Geschichte der Berliner Tierparks (bis 25.02., gleiche Öffnungszeiten).

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