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Berlin: Zapfenstreich in Neukölln

Die Kindl-Brauerei wird geschlossen. 133 Jahre Industriegeschichte gehen zu Ende. Was bleibt? Womöglich nur eine riesige Brache

Noch wissen sie nicht, ob sie resignieren oder hoffen sollen. „Natürlich haben wir Angst, aber wir setzen drauf, dass wir am anderen Standort weiterarbeiten können“, sagt der junge Mann mit der Schiebermütze, der am Dienstagvormittag aus dem Gelände der Kindl-Brauerei auf die Werbellinstraße tritt. Er arbeitet bei Veranstaltungen als Bierzapfer. Heute hatte er frei. Aber als er am Morgen die Nachrichten hörte, dass die Neuköllner Kindl- Brauerei dichtgemacht wird, wollte er doch bei seinen Kollegen vorbeischauen. Die Stimmung im Betrieb? „Hilflos“, sagt er. Hinter ihm knattert eine Berliner-Kindl-Fahne im Wind. „Anno 1872“ steht darauf. „Geahnt hatten wir es ja schon länger, aber manche wollten es bis zum Schluss nicht wahrhaben, dass die den Laden wirklich dichtmachen.“

Bis zum Dienstagmorgen um sieben Uhr. Da hatte die Unternehmensleitung die Mitarbeiter zur Versammlung geladen, außerdem zu einer ausführlicheren Runde am Nachmittag. „Die Kollegen haben abwartend reagiert“, sagt hinterher Peter Klein von der Gewerkschaft NGG, der am Morgen dabei war. Der Vorstand habe erklärt, dass angesichts sinkender Umsätze einer der beiden Berliner Standorte – Neukölln und Hohenschönhausen – geschlossen werden müsse. Und da die Neuköllner Brauerei mitten im Wohngebiet liege und nur schwerlich ausgebaut werden könne, habe man sich eben für Hohenschönhausen entschieden.

Dass jetzt von den 260 Neuköllner Stellen einige wegfallen, hält der Gewerkschafter für unvermeidlich. Allerdings habe die Unternehmensleitung – der Konzern Oetker – angekündigt, Hohenschönhausen ausbauen zu wollen und dabei den Neuköllnern neue Arbeit anzubieten. Außerdem wollten Betriebsrat und Vorstand in den kommenden Wochen darüber verhandeln, dass durch kürzere Arbeitszeiten und veränderte Schichten so wenige Stellen wie möglich wegfallen.

Für den Bezirk ist die Nachricht eine Katastrophe. Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) wurde die Botschaft zugesteckt, als er sich im Rathaus mit Politikern aus den Niederlanden über Integrationsprobleme und Folgen hoher Arbeitslosigkeit austauschte. „Die Schließung bedeutet einen Identitätsverlust für Neukölln“, sagt Buschkowsky. Kindl und die Stadt Rixdorf seien 133 Jahre zusammen alt geworden. „Wird künftig Kindl in Hohenschönhausen gebraut, steht noch Kindl drauf, aber es ist keins mehr drin.“ Noch schlimmer sei die „verheerende psychologische Wirkung für den Kiez“, in dem 40 Prozent arbeitslos sind und jeder dritte unter der Armutsgrenze lebt. Die Brauerei-Schließung symbolisiere „Endstation Neukölln, rette sich, wer kann“.

Er hatte sich beim Aufsichtsratsvorsitzenden für die Erhaltung des Standortes eingesetzt, weil man die sozialen Folgen bedenken müsse. Die Entscheidung sei alleine mit dem Rechenstift gefällt worden. Aber eine Firma habe auch eine soziale Verpflichtung. Die zähle offenbar nicht mehr. „Eine solche Entscheidung wäre vor 30 Jahren nicht getroffen worden.“

Nach Ansicht des Bürgermeisters sei die Schließung des Standortes wirtschaftlich gar nicht nötig gewesen, da das Fassbiergeschäft gut gelaufen sei. Buschkowsky fürchtet, dass nun mitten im Stadtzentrum eine Brache von 50 Hektar entstehen wird. Auch aus Sicht der Landesregierung sei die Schließung „bitter“, meint der Sprecher von Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS), Christoph Lang. Für die Stadtentwicklungsverwaltung ist es „ein dramatischer Eingriff in die Struktur des Bezirks“, wie der Referent des Senatsbaudirektors Hans Stimmann, Ephraim Gothe, sagt. Der Neuköllner SPD-Bundestagsabgeordnete Ditmar Staffelt findet die Schließung ebenfalls „mehr als bedauerlich“.

Nicht nur für Staffelt ist jetzt die dringendste Frage: Was passiert mit dem Gelände, wenn der Betrieb voraussichtlich zum Jahresende eingestellt wird? „Eine Industriebrache darf es in Neukölln nicht geben“, fordert der Bundestagsabgeordnete. Das sehen auch viele Anwohner so. Was aus dem Bau werden soll, weiß derzeit aber niemand. „Das kann zehn Jahre dauern, bis eine neue Nutzung gefunden wird“, befürchtet Gilles Duhem, der sich als Quartiersmanager um das Zusammenleben im benachbarten Rollberg-Kiez kümmert und der nach eigenen Angaben zuvor ähnliche Umnutzungen von alten Industriegebäuden betreut hat.

Für den Kiez, der eine Zeit lang vor allem wegen hoher Arbeitslosigkeit und aggressiver Jugendbanden in den Medien war, dürfte die Schließung sonst allerdings wenig Folgen haben, sagt Quartiersmanagerin Renate Muhlak. „Von den Leuten, die hier wohnen, arbeitet da schon lange keiner mehr – deutsche Facharbeiter leben woanders.“ Die beiden Kiez-Betreuer können der Schließung sogar etwas Positives abgewinnen. „Dann ist endlich der Hefegestank weg, und das Viertel wird aufgewertet“, sagen sie. Dann erzählen sie stolz vom Erfolg ihrer Arbeit, die die Zahl der Anzeigen bei der Polizei um ein Fünftel gesenkt habe. Dafür bekamen sie den „Präventionspreis“ des Landes und werden am morgigen Donnerstag von Senator Klaus Böger (SPD) geehrt.

Drei Männern aus der Nachbarschaft, die am Mittag mit Bierdosen in der Hand am Betriebsgelände vorbeiwanken, ist die Schließung schlicht egal. „Wir trinken weiter Kindl“, lallt einer im Vorbeigehen.

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