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Durch den Sand in den Sumpf. Berlin war auch im späten Mittelalter auf dem Landweg nur mühsam zu erreichen. Zudem verbarrikadierte sich die Stadt, um den „Zuzug lästiger Elemente vom Land“ zu verhindern. Kupferstich von 1652

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Zeitreise in die Frühe Neuzeit: Berlin - schon immer eine Stadt voller Probleme

Es ist laut, es ist eng, und jeder Kiez macht, was er will: Berlin heute strotzt nur so vor Problemen, Streitereien und Baustellen. Aber früher war’s nicht besser. Eine Zeitreise in die Frühe Neuzeit.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Vor 100 Jahren, im Dezember 1914, veröffentlichte der Verein für die Geschichte Berlins in seiner Monatsschrift einen ausführlichen Artikel zur „Entwicklung Berlins“. Der Autor Martin Wagner hatte sich durch „Privatpapiere und Aktenmaterial des Königlich Preußischen Geheimen Staatsarchivs“ gewühlt, um das städtische und teilweise auch dörfliche Leben anhand von Originaldokumenten zu schildern. Seine Schilderungen gehen bis zurück ins 16. Jahrhundert. Hier folgen Auszüge der lokalhistorischen Abhandlung, sprachlich geglättet, erklärend eingeordnet und verständlicher gemacht von Ulrich Zawatka-Gerlach. Eine Zeitreise durch das alte Berlin – mit Problemen, die heute immer noch aktuell sind.

Unter Führung des brandenburgisch-preußischen Staates und Herrscherhauses arbeitete sich seine Haupt- und Residenzstadt Berlin allmählich aus kleinen Anfängen zur Großstadt und Weltstadt empor. Aus ihren engen Grenzen und kleinbürgerlichen Verhältnissen wurde sie durch das weitsichtige, zielbewusste landesherrliche Regiment manchmal widerstrebend herausgezogen. Namentlich der Westen und vor allem der Norden Berlins, der Wedding, das Voigtland und der Gesundbrunnen, verdanken der Fürsorge des Herrscherhauses seine Entwicklung.

Unsere kleine Stadt. Berlin dehnte sich – wie Cölln – vom Ufer der Spree aus und hatte schon im 15. Jahrhundert mit den Problemen einer wachsenden Stadt zu kämpfen. Nachempfundener Grundriss von 1442
Unsere kleine Stadt. Berlin dehnte sich – wie Cölln – vom Ufer der Spree aus und hatte schon im 15. Jahrhundert mit den Problemen einer wachsenden Stadt zu kämpfen. Nachempfundener Grundriss von 1442

© bpk

Berlin ist ein Dorf

Das Dorf Wedding gehörte vor 1603 dem brandenburgischen Oberkämmerer und Geheimen Kammerrat Hieronymus Schlick, Graf zu Passau, der dort nach holländischem Muster auf 50 Ackerstücken und Wiesen Landwirtschaft betrieb, eine Schäferei und Meierei anlegte, die größten Schafe züchtete und am 4. Februar 1603 das Vorwerk Wedding für 5000 Taler dem Kurfürsten Joachim Friedrich und Johann Sigismund (dessen Sohn) verkaufte. Für den Wedding erhielt der Graf unter anderem den Acker und die Wiesen hinter seinem Garten, rechter Hand am Weg zum Tiergarten, außerdem weitere Ländereien, Hand- und Spanndienste im Dorf Lützow sowie Weidegerechtigkeit auf dem kurfürstlichen Vorwerk beim Tiergarten. Ferner sollte er den Tiergarten und den Garten vor dem Spandauer Tor erhalten.

Der preußische König Friedrich I. jagte gern im Weddinger Kaninchengarten. Bei einer solchen Gelegenheit lernte er das eisenhaltige Wasser einer bei der Mühle an der Panke sprudelnden Quelle kennen. 1757 überließ der König dem Hofapotheker Heinrich Wilhelm Behm den Landstrich zum Bau eines Brunnenhäuschens, eines großen Gebäudes für über 40 Kurgäste und weiterer Häuser. Der Gesundbrunnen wurde damals ein beliebter Ausflugsort, auch für vornehme Kreise. Behm kaufte im Umfeld große Wiesen und Ländereien, baute eine Meierei und übernahm 1766 als erster Erbpächter den Wedding.

Berlin ist ein Sumpf

Bei Anlegung der Friedrichstadt wurde den Ackerleuten ein großer Teil ihrer Äcker genommen. Dafür erließ ihnen der Kurfürst 1685 den halben Ackerschoß (eine Steuer). Die Bauern baten seit 1691 um den Erlass der gesamten Steuer, da ihre Äcker durch das Wasser für die Mühlen überschwemmt und versäuert wurden, es lief ihnen lief sogar in die Stuben. Das Stroh verfaulte und die Äcker, Wiesen und Gärten wurden von Pferden, Wild und Spaziergängern zertreten.

Die Gegend südlich vom Landwehrkanal bis zu den Schöneberger und Wilmersdorfer Höhen war sumpfiges Wiesengelände. An den Nordhängen des Kreuzbergs bis zur Hasenheide befanden sich Weinpflanzungen. Bis an die Stadtgräben erstreckten sich die Ackerflächen und Gemeindewiesen, durchschnitten von Landstraßen und den sie einsäumenden Krautgärten und Baumpflanzungen.

Ähnlich dem Norden hatte der Süden Berlins hinter der Alten Jakob- und der Köpenickerstraße innerhalb der Stadtmauern ein großes Terrain, das bis Anfang des 19. Jahrhunderts als Ackerland genutzt wurde. Die mit niedrigen Häusern besetzte Dresdner Straße, die zum Kottbuser Tor führte, war zum Teil noch von freiem Feld und Gärten umgeben.

Tiere machen Ärger

Nicht immer fand es bei der Bevölkerung Verständnis, wenn aufschwung- und kulturfördernde Anlagen oder Verkehrsverbesserungen vorgenommen wurden. So erhoben die Gewerke, Ackerleute und Bürgerschaft von Cölln wegen des Fahrwegs und der Landstraße am Gertrauden-Tor zwischen Tiergarten und Lustgarten Beschwerde, weil ihre Äcker durchschnitten wurden.

Berlins Ackerleute beklagten sich auch über Grenzüberschreitungen durch Bauern der Nachbardörfer. Eine Beschwerde vom 2. August 1579 richtete sich gegen die Pankower Bauern, die auf den kurzen Stücken der Berliner Feldmark ihr Dorfvieh hüteten. Und 1603 empörten sich die Berliner Bauern über den Mutwillen der kurfürstlichen Hirten auf dem Wedding, die mit ihrem an einer Seuche erkrankten Rindvieh das der Berliner Ackerbürger ansteckten.

Zugereiste machen Probleme

Auf der Spree konnten die Schiffe der Hamburger Kaufleute, ohne den Mast niederzulegen, nur bis zur Gertraudenbrücke fahren. Ihr Wunsch, deshalb die teure und neu erbaute Brücke umzubauen, wurde 1657 vom Cöllner Magistrat zurückgewiesen. Die Stadtväter warfen den Hamburger Schiffern vor, mehr Zeit schlafend auf den Schiffen oder in den Branntwein- und Bierhäusern zu verbringen, als die Niederlegung des Mastbaums dauern würde.

Die Stadt stinkt

Manche Übelstände, die zu Beschwerden an die Stadt oder die Landesherrschaft führten, schleppten sich lange hin. 1572 hatte der Rat zu Berlin erste Vorkehrungen getroffen, gegen eine jährliche Abgabe von 20 Talern zulasten der Hauseigentümer eine Wasserleitung anzulegen, mit regelmäßig angebrachten Hähnen. Trotzdem kam es bis ins 17. Jahrhundert hinein zu Verunreinigungen der Spree, zum Schaden des Fischfangs zwischen dem Mühlendamm und der Langen Brücke. Klagen gab es auch wegen des Unrats in den Straßen, etwa an der Petrikirche, und wegen schlechter Brunnen.

Vor 1690 wurde an der Langen Brücke ein Pfahl gesetzt, an den Bürger, die Unrat in die Spree schütteten, mit einem Halseisen angeschlossen wurden. Als es den Pfahl nicht mehr gab, trug ein jeder ungescheut zur Spree, was er nur konnte. Die Anwohner an der Stechbahn, die wegen der kleinen Höfe dicht am kurfürstlichen Stall keine gemauerten Private (stille Örtchen) anlegen konnten, warfen ganze Nachtstühle auf die Straße – oder zwischen Mühlendamm und Langer Brücke in die Spree. Das wurde vom Kurfürsten, dem das nicht gefiel, nur noch hinter dem Lustgarten gestattet.

Ein anderes Gesundheitsproblem: Im Pestjahr 1598 befahl der Kurfürst die Beerdigung der Pestleichen außerhalb der Stadt. Stattdessen ordnete der Magistrat die Beisetzung auf dem Kloster-Kirchhof an. Altem Brauch entsprechend nahe dem Seuchenherd, damit den Toten, die des Nachts von ihren Angehörigen eigenhändig beerdigt werden mussten, möglichst wenigen Menschen nahe kamen.

Von nervenden Nachbarn, Zentrumsproblemen und leeren Kassen

Die Nachbarn nerven

Der Rat der Stadt war auch zuständig für die Bewaffnung der Bürgerschaft mit brauchbaren Gewehren. Die Stadtwachen, früher abgelebte, untüchtige Kerle, ja Lehrjungen oder Kinder, wurden durch angestellte und vereidigte Wächter ersetzt. 1626 wurde den Hofbediensteten und Offizieren nahegelegt, nachts nicht auszubleiben, damit die Stadttore ihretwegen nicht des Nachts geöffnet werden mussten. Außerdem wurden die streitbaren Soldatenweiber in die Nachbarstädte Köpenick, Bernau und Nauen verlegt. Kritisch gesehen wurde auch die neue Brücke beim Tiergarten über die Spree, weil sie dem Feind zum Übergang Gelegenheit gab und dadurch die ganze cöllnische Seite und den Weg nach Spandau in Unsicherheit versetzte.

Gegen Bettler, den Besuch von Kaffeehäusern und Bierkellern wurde restriktiv vorgegangen, auch das nächtliche Lärmen auf den Gassen war verboten. 1693 wurde die Uniformierung der 15 Polizeidiener empfohlen, weil böse Buben unter Missbrauch der Polizeigewalt allerhand grobe Exzesse verübten. Es wurde auch versucht, gegen das Fressen und Saufen bei Hochzeiten, Kindstaufen und Begräbnissen vorzugehen. Ein anderer Erlass richtete sich 1693 gegen die große Hurerei in der Residenzstadt, besonders auf dem Friedrichswerder. Viel wurde unternommen, um den Zuzug lästiger Elemente vom Land in die Berliner Vorstädte zu verhindern. Ende des 17. Jahrhunderts wurde eine Kommission zur Kontrolle der Vorstadtbevölkerung gegründet, auch zur Unterdrückung der dort stattfindenden Auflehnungen.

Das Zentrum wird aufgemotzt

Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden größere Straßen und Bürgersteige bepflastert und mittels einer Steuer finanziert. Zuerst wurden nur runde Kopf- und Fauststeine benutzt, behauene Granitsteine gab es erst nach 1830, zuerst zwischen der Friedrichsbrücke und dem alten Dom am Lustgarten, in der Königstraße sowie in der Friedrichstraße vom Oranienburger Tor bis zur Weidendammer Brücke. Die Vorstädte Berlins verfügten nur über jämmerliche, zur Regen- und Winterzeit fast unpassierbare Sandwege.

Die Laternen, die täglich angezündet und mit Brennstoff versorgt werden mussten, brannten nachts bis 2 Uhr und bei trübem Wetter. Immer wieder wurden die kupfernen Kappen der Laternen gestohlen. 1801 wurde eine verbesserte Beleuchtung nach Pariser und Londoner Vorbild geplant und 200 moderne Laternen angeschafft, doch vorerst nicht genutzt. Nach 1830 wurden die ersten Gaslaternen installiert, zuerst nur an den Hauptstraßen.

Die Kassen sind geplündert

Um Preistreibereien, zum Beispiel der Berliner Handwerker, zu bekämpfen, wurde 1662 die Einführung fester Taxen (Preise) angeordnet. 1675 beantragte der Rat der Stadt, die Benutzung privater Wagen zu verbieten, zugunsten der von vereidigten Wagenmeistern bedienten öffentlichen Wagen. Den Schustern Berlins wurde 1663 gestattet, auf die Jahrmärkte von Lehnin, Kremmen, Neuruppin, Ketzin, Zedernick, Nauen und Werder zu ziehen. Ab 1693 durften die Händler vom Land und aus den Nachbarstädten auf die Märkte, Plätze und Gassen Berlins, um Getreide, Brot und andere Viktualien (Lebensmittel) zu verkaufen. Den Juden wurde 1665 mit wenigen Ausnahmen untersagt, in der Stadt und auf dem Land Handel zu treiben.

Berlins Finanzen waren schon immer schwierig. 1639 hatten Prediger und Schullehrer Sorgen um ihr Gehalt und die Stadt blieb dem Kurfürsten Steuern schuldig. Auch im Heer herrschten zeitweise drückende Verhältnisse. Manche Soldaten verdienten anderweitig ihren Lebensunterhalt – als Tabakspinner und Schulmeister.

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