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Berlin: Zettelwirtschaft

Sezer Yigitoglu ist gehörlos, Kommunikation mit Kunden ist nicht immer leicht Am Sonntag öffnet der 29-Jährige ein Café im Norden Neuköllns.

Ein bisschen Bammel hat Sezer Yigitoglu schon vor Sonntag. Dann öffnet sein Café in der Boddinstraße, im angesagten NordNeukölln. Eigentlich gute Aussichten für das „Café Ole“, das nach seinem Hund benannt ist. Doch Yigitoglu, 29, fürchtet sich vor der Kommunikation mit den Gästen. Er ist seit der Geburt gehörlos. „Ich bin ganz aufgeregt,“ sagt Yigitoglu.

Wenn das Lippenlesen so schnell nicht klappt, müssen die Gäste auf der Karte zeigen, was sie wollen. Oder es auf Zettel schreiben. „Das geht ganz gut“, sagt Yigitoglu, „und wenn man mit den Fingern die Anzahl anzeigt, versteht das jeder.“ Während des Interviews hilft ein Mann aus, der sich als Spunk Sippel vorstellt. Eigentlich heiße er ja Christian Sippel, aber unter diesem Vornamen kenne ihn niemand. Sippel jedenfalls ist Yigitoglus Assistent, er kann ein bisschen Gebärdensprache. Yigitoglu wurde schon als Kind in der Familie aufs Lippenlesen trainiert. In der Gehörlosenschule hat er mittels Vibrationen Laute und Wörter gelernt. Auf Anhieb ist er dennoch nicht zu verstehen. Fernsehsendungen musste er sich als Kind anhand der Bilder erschließen. Seit es Untertitel gibt, kauft er sich manchmal alte Kinderfilme als DVD. „Manchmal bin ich überrascht, weil der Inhalt ein ganz anderer ist“, sagt er.

Eigentlich ist Yigitoglu Bäcker. Bis vor zwei Jahren stand er in einer großen Backfabrik in Spandau am Fließband. Danach schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch. Einen Gehörlosen wollte keiner einstellen. „Selbst von Zeitarbeitsfirmen kamen nur noch Absagen“, sagt er. Im Herbst überredeten ihn Freunde, seinen Traum zu verwirklichen. „Ich wollte schon immer ein Café eröffnen“, sagt er. Und seiner Leidenschaft nachgehen: Quiches, Kuchen, Tartes backen.

Im „Café Ole“ gibt’s keine alten Sofas, keinen Einheitslook wie in so vielen Bars und Cafés im Norden Neuköllns. Mit schwarzen Tür- und Fensterrahmen, Tischen und Stühlen zu weißen Wänden und dem Fritz-Kola-Schild erinnert das „Ole“ eher an manche Cafés in Mitte. Geplant sind Konzerte und Kunstausstellungen. Über die Entwicklung der Gegend freut er sich. „Ich mag die Mischung aus Künstlern, Studenten. Das ist interessanter, lebendiger und kreativer als das alte Neukölln“, sagt er. Aus dem Kiez will er nicht weg, hier ist er aufgewachsen, hier leben Familie und Freunde.

Im Alltag habe er als Gehörloser kaum Probleme. Die Mehrheit sei bereit, mit Zetteln zu kommunizieren. „Manchmal denken die Leute, er sei Ausländer und spreche eine komische Sprache“, sagt Assistent Sippel. Zum Beispiel im Club Berghain, als die Türsteher ins Englische wechselten. Yigitoglu feiert gern. „Ich höre die Musik zwar nicht, fühle sie aber über die Vibration.“ Deswegen mag er Techno und Elektro am liebsten. Damit er im Café die richtige Musik auflegt, beschriften Freunde die CDs gerade nach Stimmungen wie Regentag oder Sommer. Christoph Spangenberg

Café Ole, Boddinstaße 57, Neukölln, Eröffnung am Sonntag 14-22 Uhr, sonst Dienstag bis Sonnabend, 10-20 Uhr.

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