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Berlin: Zu viele Atteste: 200 Ärzte verdächtigt

Krankenkassen drohen Medizinern, die Arbeitnehmer häufig krankschreiben, mit Entzug der Zulassung

Die Krankenkassen verdächtigen über 200 Berliner Ärzte, ihre Patienten unnötig krankzuschreiben. Die Ersatzkassen – dazu gehören u.a. die Barmer, die Techniker- und die Angestelltenkrankenkasse – haben nach Tagesspiegel-Informationen eine Liste mit diesen Medizinern zusammengestellt, um gegen sie vorzugehen. Die Ärzte sind aufgefallen, weil sie überdurchschnittlich häufig die gelben Scheine für Krankschreibungen ausgefüllt haben. Darunter offensichtlich viele ungerechtfertigte, wie die Kassen bei Kontrollen der Patienten feststellten: Statt der Vorladung zum Medizinischen Dienst der Kassen (MDK) zu folgen, meldeten sich die vermeintlich Arbeitsunfähigen als gesund beim Arbeitgeber zurück.

In den nächsten Tagen wird die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) die verdächtigten Ärzte auffordern, ihr Verhalten zu ändern. „Tun sie das nicht, wenden wir uns an die Kassenärztliche Vereinigung“, sagte DAK-Sprecher Rüdiger Scharf. Dann drohten den Ärzten Sanktionen bis hin zum Entzug der Kassenzulassung. Eine „Hetzjagd auf Blaumacher und ihre Ärzte“, wie sie die Betriebskrankenkasse (BKK) Berlin jetzt plane, sei jedoch nicht der Stil der DAK.

Wie berichtet, will die BKK eigene Listen mit auffälligen Ärzten an die Arbeitgeber verschicken, um mit deren Hilfe Blaumachern auf die Spur zu kommen. Die Kasse folgt damit dem Beispiel der Hamburger BKK, die eine solche „Schwarze Liste“ mit zehn auffälligen Arztpraxen bereits am Donnerstag an mehr als 2000 Firmenchefs in der Hansestadt absandte. Der Hamburger BKK-Chef Herbert Schulz forderte die Arbeitgeber auf, die verdächtigen „Blaumacher“ in der Mitarbeiterschaft zu melden. Nun muss sich die mit rund 60 000 Mitglieder relativ kleine Kasse, die zum 1. Juli mit der BKK Berlin fusionieren wird, mit dem Vorwurf auseinander setzen, gegen den Datenschutz zu verstoßen und Mediziner zu verleumden. Eine gefährliche Gratwanderung, denn die genannten Ärzte könnten durch diese Anprangerung wirtschaftlichen Schaden nehmen und gegen die Kasse klagen. Auch die AOK Berlin lehnt diese Strategie der Betriebskrankenkasse als „datenschutzrechtlich sehr problematisch“ ab.

Alle Krankenkassen schauen den Ärzten schon heute genau auf die Finger, aber in der Regel erst dann, wenn sie das Krankengeld zahlen müssen – also ab der sechsten Woche. Dann schalten sie den MDK zur Begutachtung ein – im Jahr 2001 in Berlin rund 60000 Mal. Dieser lädt die Patienten zur Untersuchung vor. 42 Prozent der Eingeladenen erschienen nicht, sondern gingen wieder zur Arbeit. Von den 36 000 Erschienenen schrieb der MDK mehr als die Hälfte sofort gesund – im Bundesschnitt liegt diese Quote bei rund 25 Prozent. Das heißt, nur knapp jeder Vierte der 60 000 Arbeitsunfähigen, die die Kassen in Berlin zur Überprüfung auswählten, war zum Zeitpunkt der Begutachtung tatsächlich krank.

Auch Arbeitgeber veranlassen solche Überprüfungen, 2001 in elf Prozent der Fälle. Im Bundesdurchschnitt sind es nur sieben Prozent. Ein Betrug aber lässt sich so nicht beweisen, denn: „Wir können nur für den Augenblick der Begutachtung sagen, ob jemand krank ist oder arbeitsfähig", heißt es beim MDK. Ob die Krankschreibung berechtigt war oder nicht, das ließe sich rückwirkend nicht feststellen.

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