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Berlin: Zug um Zug in die Sucht

Die erste Zigarette, ein Hustenanfall – und trotzdem rauchen viele Kinder weiter. Wieso bloß? Ein Gen könnte schuld sein, zeigen Studien. Und sozialer Druck. Was Eltern und Lehrer tun können

Moderne Eltern setzen meist auf die sanfte Erziehung. Verbote sind verpönt. Um ihre Kinder vor einer der ganz großen gesundheitlichen Gefahren zu schützen, sollten sie aber doch bereit sein, deutlich zu werden – notfalls sogar autoritär. Eine Befragung von über 3000 Schülern, die Peter Raschke vom Zentrum für interdisziplinäre Drogenforschung in Hamburg kürzlich machte, hat nämlich gezeigt, dass Eltern ihre Kinder wirksam vom Rauchen abhalten können, indem sie es ihnen verbieten – wirksamer sogar, als wenn sie selbst keine Zigarette anrühren. Ein rauchender Vater, der seinem Sohn das Rauchen verbietet, habe bessere Karten, einen Nichtraucher heranzuziehen, als ein nicht rauchender Vater, der nichts unternimmt. Immerhin: „Nicht-Rauchen“ ist keine Tätigkeit, man kann es, anders als Tanzen oder Fußballspielen, nicht vormachen. Ein Verbot, das konsequent überwacht wird, vielleicht verbunden mit dem Versprechen auf eine Belohnung, verspricht da offensichtlich mehr Erfolg.

Und zwar nachhaltig. Denn wer mit 18 noch Nichtraucher ist, hat deutlich bessere Chancen, es sein Leben lang zu bleiben. „Je älter man wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man anfängt“, sagt Oliver Bilke, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Vivantes Humboldt-Klinikum.

Nun hat zwar vor kurzem erst die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine Studie veröffentlicht, wonach nur noch jeder vierte Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren ständig oder gelegentlich raucht – 26 Prozent –, während es zwei Jahre zuvor noch 28 Prozent waren, aber dennoch liegt das „durchschnittliche Kontaktalter“ für Kind und Zigarette heute bei zarten elfeinhalb Jahren. Denn schon vor der Pubertät kann in der kindlichen Entwicklung mehr schieflaufen, als Eltern vermuten. „Ich beobachte, dass heute viele Eltern mit ihren Kindern schon nicht mehr im engen Kontakt sind, wenn die acht oder neun sind“, sagt Oliver Bilke. Die Kinder werden dann selbstständiger, machen andererseits aber auch noch keine erkennbaren Probleme, sodass die Wachsamkeit vielleicht nachlässt. „Gerade in dem Alter sollte man aber dranbleiben und auf jeden Fall Informationen einholen, wie die Schule mit dem Drogen- und Zigarettenproblem umgeht“, rät der Drogenfachmann.

Mehr als 15 000 Berliner Schüler ab zehn Jahren waren zum Beispiel schon beim Nichtraucher-Parcours „Rauchst du noch oder lebst du schon?“, den der auf drogensüchtige Jugendliche konzentrierte Verein „Karuna“ seit eineinhalb Jahren anbietet. „Bei uns erleben die Kinder etwas, womit sie nicht rechnen“, sagt Projektleiter Holger Hönck. In Kleingruppen kann man sich dort nicht nur informieren, zum Beispiel über die Gifte, die in einer Zigarette stecken, sondern auch an einem Wettbewerb teilnehmen. Und: Man kann sich „agen“ lassen: Mittels einer speziellen Software wird das Digitalfoto von Schülern so verändert, dass man sieht, wie sie mit 40 aussehen könnten: als Nichtraucher wenig faltig und angenehm rosig, als Raucher durchaus abgelebt. Und die Besucher erfahren auch, warum: Die Haut von Rauchern enthält einen höheren Bestandteil des Enzyms Matrix Metallo Proteinase 1, das für den Abbau des hauteigenen Kollagens zuständig ist, und sie wird zudem schlechter durchblutet. Testläufe in den USA zeigten, dass nach Abspulen des Zeitrafferprogramms deutlich mehr Jugendliche von der Schädlichkeit des Rauchens überzeugt waren.

Erziehungswissenschaftler Hönck will mit dem Parcours der moralischen Ablehnung des Rauchens, die viele Kinder vor der Pubertät teilen, mehr Tiefe verleihen, durch Aha-Erlebnisse, die auch die erreichen, die das Rauchen einfach nur mal probieren wollen. Denn Prävention ist kein Programm gegen die natürliche Neugier Heranwachsender, die fast alle irgendwann einmal wissen wollen, wie eine Zigarette schmeckt. Der Mediziner Oliver Bilke empfiehlt deshalb auch den Eltern: „Kommen Sie früh mit Ihren Kindern über das Rauchen ins Gespräch und vor allem: Bleiben Sie im Gespräch!“ Im Einzelfall sei es sogar erlaubt, sein Kind, „wenn es partout will“, an der Zigarette ziehen zu lassen, „in der Hoffnung auf den Abschreckungseffekt, den das anfangs oft hat“.

Noch ist nicht klar, wovon es abhängt, wenn Heranwachsende nicht nur die ersten Hustenattacken überwinden, sondern sich das Rauchen richtiggehend angewöhnen. Man weiß aber schon länger, dass Jugendliche, die ein ausgeprägtes Bedürfnis nach ständig neuer Stimulation haben und sich schnell langweilen, besonders gefährdet sind, früh mit dem Rauchen und dem Konsum alkoholischer Getränke zu beginnen. Psychologen nennen dieses Temperamentsmerkmal „novelty seeking“. Und sie vermuteten, dass es mit Besonderheiten bei der Ausschüttung des „belohnenden“ Hirnbotenstoffs Dopamin in Verbindung stehen müsse; einem Transmitter also, der vor allem freudige Gefühle auslöst. Die Suche nach der genetischen Basis lag also nahe.

Vor kurzem hat nun eine Arbeitsgruppe des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim um den Psychiater Manfred Laucht die DNS von 305 Mannheimer Jugendlichen untersucht, die zuvor ausführlich über ihren Umgang mit Alkohol, Nikotin und anderen Substanzen befragt worden waren. Tatsächlich ging die Variante eines Gens, das eine Andockstelle für den Botenstoff Dopamin steuert, auffallend häufig mit stark ausgeprägtem „novelty seeking“ einher. Diese Variante des Dopamin-D4-Rezeptor-Gens ist weit verbreitet, etwa 40 Prozent der Bevölkerung tragen sie. Die Jugendlichen, die diese Gen-Variante trugen, zeigten ein sehr viel ausgeprägteres Bedürfnis nach Abwechslung und Stimulation als die anderen Testpersonen – und sie waren mit 15 Jahren weit häufiger Raucher und regelmäßige Alkoholkonsumenten. Das „Raucher-Gen“ ist damit sicher nicht gefunden. Aber die Hinweise haben sich verdichtet, dass – vor allem bei Jungs – das Persönlichkeitsmerkmal „novelty seeking“ das Bindeglied zwischen genetischer Veranlagung und problematischem Drogenkonsum sein dürfte.

Für Mädchen hingegen, die beim Rauchen bekanntlich inzwischen aufgeholt haben, scheinen soziale Faktoren wichtiger zu sein, als Auslöser für eine Raucherkarriere. Um sie vom Rauchen abzubringen, wäre zu überlegen, ihnen als Vorbilder attraktive Nichtraucherinnen vorzustellen.

Ist man aber erst einmal zum Raucher geworden, kann das Abgewöhnen schon für Jugendliche schwer sein – und nicht nur aus sozialen Gründen. „Nikotin hat ein unglaubliches Abhängigkeitspotenzial, es dockt schnell im Gehirn an und entfaltet seine Wirkung rasch, die Entzugserscheinungen sind massiv“, sagt Suchtexperte Oliver Bilke. Dazu kommt: Nikotin ist meist eine Art Einstiegsdroge: Wer raucht, fängt zum Beispiel auch leichter an zu kiffen.

Wenn junge Leute zum Entzug in eine Klinik kommen, ist das Nikotin deshalb oft nicht die erste Sorge von Ärzten und Psychologen. Denn dann sind die Jugendlichen meist schon von mehreren Substanzen abhängig. Dazu kommt, dass man bei der Entwöhnung gleich mehrere Faktoren auf einmal berücksichtigen muss, nicht nur das Nikotin als Suchtstoff, sondern auch die orale Komponente – das „angenehme“ Gefühl, mit der Zigarette die Finger beschäftigt zu halten und etwas zu sich zu nehmen, selbst wenn es giftiger Rauch ist – sowie das Rauchen als Ritual der Gemeinsamkeit. „Auf einen Schlag müssen da mehrere Dinge ersetzt werden“, sagt Oliver Bilke. Auch deshalb gibt es leider erst wenige Programme zur Raucherentwöhnung, die speziell auf ganz junge Raucher abgestimmt sind.

Mehr im Netz: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung/www.bzga.de

Mehr über den Berliner Mitmachparcours unter www.rauchst-du-noch.de. Anmeldung unter Telefon 55 49 34 27.

Infos über das Projekt Prävention der Nikotinsucht bei Kindern in Hamburg: www.nichtrauchen-ist-cool.de

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