zum Hauptinhalt

Berlin: Zur Abwechslung mal was Anspruchsvolles

Gegen das Einerlei des Ausgehens setzen die Berliner Clubs auf Kultur – heute ist wieder „Die andere Nacht“ in der Kalkscheune

Bisweilen gab es vor der Staatsoper Merkwürdiges zu beobachten: Auf dem Gehweg vor dem Eingang hatte sich eine Traube von Menschen gebildet, die sonst eher in angesagten Clubs anzutreffen sind als in gediegenen Konzertsälen. Alle wollten in den ehrwürdigen Apollo-Saal hinein, in dem der bekannte Elektronik-Künstler Gonzales sein selbst komponiertes Piano-Album vorstellte. „Hochkultur meets Subkultur“, heißt es immer öfter im Berliner Nachtleben – mit Erfolg. Das zeigen Veranstaltungen wie die „Yellow Lounge“, der „Club Redux“ oder „Die andere Nacht“. Die „Yellow Lounge“, einst nach amerikanischem Vorbild mit dem Ziel entstanden, klassische Musik in die Clubs zu tragen, gastierte bis zu Beginn dieses Jahres einmal monatlich im Cookies. Für die Club-Generation waren die Abende mit Schubert, Liszt oder Beethoven eine außergewöhnliche Erfahrung. Aber nicht nur für die.

Die kanadische Pianistin Helene Grimaud, sonst in internationalen Konzertsälen zu Hause, war von der Stimmung auf der Veranstaltung sichtlich beeindruckt. Seit der Schließung des Cookies pendelt die „Yellow Lounge“ zwischen Veranstaltungsorten wie dem „Week-End“ am Alex, der Arena in Treptow und dem 103 in Kreuzberg – ihrem Erfolg hat das Nomadendasein jedoch keinen Abbruch getan. Kein Wunder: Das Partyvolk scheint sich nach etlichen Nächten in den gleichen Clubs mit der gleichen Musik und den gleichen Discjockeys nach Abwechslung zu sehnen.

„Natürlich ist es aufwendig, solche Veranstaltungen in einem Club umzusetzen. Aber heutzutage muss man seinem Publikum auch so etwas bieten“, sagt DJ Metro. Er gehört zum Kreuzberger Watergate-Team, das vor einiger Zeit die Veranstaltungsreihe „Club Redux“ ins Leben rief. Die Reihe ist ein Mix aus aufwendigem Konzert und klassischer DJ-Clubunterhaltung. Eigens für diese Abende wurde das „Redux Orchestra“ zusammengestellt, unter der künstlerischen Leitung von Ari Benjamin Meyers. Spezialisiert haben sich die Musiker auf Interpretationen amerikanischer Klang-Pioniere wie Terry Riley. „Solche Veranstaltungen vermitteln einen Eindruck von dem, was musikalisch auch möglich ist“, so DJ Metro. Nach über 20 Jahren DJ-Kultur habe das Konzept der Abendunterhaltung vom Plattenspieler nichts Neues mehr zu bieten. An einen kulturellen Wandel der Jugend und an eine neue Hinwendung zur Hochkultur glaubt DJ Metro dennoch nicht. „Natürlich hat das für die Leute auch einen gewissen Schick, zu Lesungen, Performances oder Klavierkonzerten zu gehen“, sagt er und versucht, sich so die neue Welle der Intellektualisierung zu erklären. Dennoch planen Veranstalter wie Frank Spindler und Jesko Klatt in ihrem Kreuzberger Clubrestaurant „Spindler & Klatt“ Klavierkonzerte und Ballett als festen Bestandteil ein.

Auch die Macher der Veranstaltungsreihe „Die andere Nacht“, die vom Tagesspiegel präsentiert wird, setzen mit Lesungen und DJ-Programm auf körperliche und geistige Stimulation. In der Vergangenheit wurden bereits Autoren wie Juan Moreno oder Jochen-Martin Gutsch nach ihren Auftritten von jungen hübschen Frauen wie Popstars angehimmelt. Vermutlich werden heute Abend, wenn die Autoren Jaroslav Rudis oder Tobias Königshausen zur Präsentation ihrer neuen Werke in die Kalkscheune laden, ähnliche Szenen zu beobachten sein. Anspruchsvolle Kunst ist eben sexy.

Die andere Nacht, heute, 20.30 Uhr, Kalkscheune, Johannisstraße 2, Mitte, am DJ-Pult stehen Regisseur Jörg Buttgereit und Radio-Eins-Moderator Johannes Paetzold

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false