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Medien: Gefühlte Qualität

Der Bauer-Verlag geht neue Wege und lässt den Journalisten Thomas Schneider die Redaktionen lehren, wie man Leser lieben lernt

Wer Thomas Schneider in der achten Etage des Hamburger Bauer-Verlags besucht, den schreien Gegensätze an. Er hat ein paar Bilder in sein neues Büro gehängt: moderne, farbintensive Kunst. Sie kämpft machtlos gegen das beige-braune Ambiente mit den holzvertäfelten Wänden. Stünde auf dem Tisch ein Dujardin, dampfte daneben eine Zigarre, stünde unten ein Chauffeur im Opel Kapitän – man fühlte sich zurückversetzt in die Ära Erhard. Wenn da nicht die Bilder wären. Und wenn da nicht mittendrin Thomas Schneider säße. Der 54-jährige Schnauzbartträger war viele Jahre bei Burda, zuletzt in der Chefredaktion von „Bunte“. Anfang des Jahres kam er zu Bauer. Es ist das erste Mal, dass bei Bauer ein Journalist in die Geschäftsführung eingezogen ist.

Schneider hat Großes vor. 35 Zeitschriften verlegt Bauer in Deutschland. Jeder Zweite liest eine davon. Damit gehört der Verlag, der rund 1,7 Milliarden Euro umsetzt, zu den führenden in Europa. Zumindest rechnerisch. In kreativer, journalistischer Hinsicht gibt es Defizite. Sie zu erkennen und auszumerzen ist Schneiders Job. Er umschreibt ihn so: „Wenn jemand eine Zeitschrift kaufen will und sieht im Kioskregal vier oder fünf ähnliche Titel aus demselben Genre: Für welchen wird er sich entscheiden?“ Schneider ist überzeugt davon, dass es so etwas gibt wie „eine vom Leser gefühlte Qualität“. Sein Ziel ist, dass sich der Käufer auch in Zukunft im Kiosk für die Bauer-Zeitschrift entscheidet, weil er fühlt, hier bekommt er die beste Qualität.“

Das sind ganz neue Töne. Qualität stand bei Bauer bisher nicht im Vordergrund. Der Verlag agierte nicht, er reagierte. Ohne Springers „TV Neu“ hätte Bauer niemals „TV Klar“ gegründet, ohne den Milchstraßen-Titel „TV Spielfilm“ niemals „TV Movie“, ohne Burdas „Lisa“ niemals „Laura“. Die Liste ließe sich fortsetzen. Verwechselbare Me-too- Objekte produzieren, Marktanteile verteidigen, gern über das Instrument der Preissenkung. Das war die Strategie von Bauer, einem Verlag von Kaufleuten, die sich an konkreten Zahlen orientieren, nicht an dem, was Schneider für die Zeitschriften fordert: Charakter, Spirit, Emotion. Schneider sagt: „Was ich hier mache, bringt keine kurzfristigen Auflagen-Höhenflüge. Es geht zusammen mit den Redaktionen um die langfristige Qualitätssicherung der bestehenden Objekte.“ Das ist der eine Teil seiner Arbeit. Der andere ist es, neue Blätter zu entwickeln.

Wenige Schritte vom Bauer-Verlag entfernt sitzt die „Bauer Future KG“. Am 1. November hat sie ihre Arbeit aufgenommen. Es sind nur ein paar Arbeitsplätze, die Schneider hier eingerichtet hat. Ulrich Becker sitzt hier, bis vor kurzem Chef des Berliner „Bunte“-Büros, eine Fotochefin, ein Art Direktor, außerdem Michael Kneissler, früher Autor unter anderem von „Bunte“ und „GQ“ und Andreas Wrede, Gründungschefredakteur von „Max“. Zuletzt entwickelte er „Koi“, eine Art „Max“ für Erwachsene, ein Lifestyle-Magazin, das keinen Trends hinterherhechelt, sich gleichermaßen an Frauen und Männer richtet. Das Cover ziert ein blaues Wappen. Neuartige Formate eröffnen überraschende Zugänge zu entweder sehr text- oder auch sehr bildorientierten Geschichten. Der Jahreszeiten-Verlag, für den „Koi“ entwickelt wurde, lässt sich Zeit zum Entscheiden. Hier, bei Bauer, scheint es weniger gemächlich zuzugehen. Es wird an mehreren Projekten parallel gearbeitet, darunter an etwas „ganz Großem“, heißt es geheimnisvoll. Seiten werden produziert, Konzepte bis zur Serienreife erarbeitet, bevor sie mitsamt Kostenplan der Geschäftsführung zur Entscheidung vorgelegt werden. Schneider will, dass sich das Team permanent erneuert. Kommt es zum Erscheinen einer Zeitschrift, wird aus der Future-Redaktion heraus die Führungscrew gebildet. Als interner „think tank“ soll sie außerdem Anlaufstelle sein, wenn ein Bauer-Chefredakteur Rat sucht. Bauer Future – der Name ist Programm.

Zurück zur These der „vom Leser gefühlten Qualität“. Was meint Schneider damit? Auf der Suche nach einer Erklärung zündet sich Schneider eine Zigarette an: „Alle Zeitschriften, alle publizistischen Objekte sind in meinen Augen organische Objekte. Die Keimzelle ist die Redaktion. Der Leser spürt, wie die Redaktion tickt. Er spürt, ob sie überzeugt ist von dem, was sie macht, er spürt ihr Engagement, auch wenn er dieses Gefühl nicht genau erklären kann. Konkret heißt das: Die Redaktion muss ihre Leser lieben.“ Von Ausgabe zu Ausgabe gelte es neu zu überlegen, wie man den Leser emotional am besten anspricht, ihn sinnlich einbindet. Der Leser dürfe nicht das Gefühl haben, dass ihm lieblose Nachrichten vorgesetzt werden. „Nicht immer ist nur die Nachricht die Geschichte. Es geht gerade im People-Journalismus darum, über die Nachricht eine Geschichte zu erzählen, um dem Leser damit den emotionalen Kern der Nachricht zu zeigen. Das ist die eigenständige Leistung der Redaktion, die sie immer wieder von neuem zu erbringen hat.“ Und noch etwas gehöre dazu. Schneider zündet sich die nächste Zigarette an: „Ich glaube, dass die Redaktionen erfolgreicher sind, die den Spirit ihrer Blätter leben. Alle müssen sich für ihr Heft engagieren, vom Volontär bis zum Chefredakteur. Sie müssen wissen, wo ihre Leser sitzen, sie müssen die Gegenden kennen, wo sie sich aufhalten, sie müssen ihre Probleme kennen. Wer nicht weiß, wie es in der Frühstückspause in einer Spedition aussieht, der weiß auch nicht, wie das Blatt sein muss, das dort gelesen wird.“ Emotionale Ansprache bedeute, die Emotionen des Lesers zu kennen. „Und Emotionalität ist bei älteren Menschen etwas anderes als bei jungen, bei Frauen anders als bei Männern. Da kann man nichts über einen Kamm scheren. Das ist bei jedem Heft anders.“

Schneider redet sich in Rage. Man ahnt, wie er jeden Tag versucht, das Bewusstsein für diese „vom Leser gefühlte Qualität“ zu wecken. Die Rückendeckung von Heinz Bauer hat er, da hegt er Zweifel: „Den Verleger und mich eint das Wissen, dass Qualität auf lange Sicht der einzige Weg ist, auf dem Markt weiterhin erfolgreich zu bestehen, das gilt auch und gerade für Traditionstitel“.

Einer der älteren Titel ist die „Neue Revue“. Mit Chefredakteur Peter Bartels führt Schneider besonders häufig Gespräche. Das Blatt wird seit geraumer Zeit umgebaut – vom muffigen Heft für Männer, die sich an billigen Nacktfotos und Skandalstorys ergötzen, hin zum People-Magazin für weibliche Leser. Sicherlich wäre es einfacher gewesen, die „Neue Revue“ einzustellen. Ende der 80er verkaufte sie über eine Million Exemplare, aktuell 252 000. Das Blatt schreibt Verluste. Bauer hält daran fest. Es ist eine Frage der Ehre. Der Verlag will nicht wieder den Fehler machen wie damals bei „Quick“.

Zuletzt wurden bei der „Neuen Revue“ drei von vier Rätselseiten rausgeworfen, die Witze-Seite und den Roman gibt es nicht mehr, neue Autoren sprechen gezielt Leserinnen an. „Jeder, der sich in dem Geschäft auskennt, weiß, dass man dafür blutet, weil man alte Leser vergrätzt und die neuen, auf die man spekuliert, noch nicht hat“, sagt Schneider. Wer „Neue Revue“ und „Bunte“ heute nebeneinander legt, erkennt viele Ähnlichkeiten. Von Ausgabe 51 an wird auch der Zusatz „Neue“ verschwinden. Dann heißt das Blatt nur noch „Revue“, womit Schneider „Show, Entspannung und Glamour“ assoziiert. Er und Bartels haben sich vorgenommen: Von 2006 an wird die Auflage wieder steigen.

Und was ist dran an Spekulationen, Schneider wolle bei Bauer eine deutsche „Vanity Fair“ entwickeln? „Das ist absoluter Quatsch“, sagt Schneider. Würde ein Anzeigenleiter von Bauer heute zu Prada oder anderen Herstellern von Luxusmarken gehen, um Werbung zu akquirieren, bekäme Bauer spöttisch lächelnd Absagen. Bauer setzt 1,2 Milliarden Euro um, davon nur 350 Millionen mit dem Anzeigengeschäft. Es dauert Jahre, und es braucht erst einmal ein paar neue, für Werbekunden attraktive Zeitschriften, bis sich Bauer bei Werbekunden einen Stand erarbeitet hat.

Die erste Neugründung unter Schneiders Ägide war „Intouch“, ein Heft voller Prominenten-Fotos mit wenig Text. Widerspricht es dem, was Schneider fordert? Nicht unbedingt. Es zeigt aber: Er wird einen langen Atem brauchen.

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