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Panorama: Der Tod kam in Sekunden

Ein Erdbeben der Stärke 5,4 auf der Richterskala begräbt in Süditalien Dutzende Kinder unter einem Schuldach

Donnerstags ist Markttag in San Giuliano di Puglia, einer kleinen Ortschaft im südlichen Teil der Region Molise. Sie liegt in 452 Metern Höhe und ist von zahlreichen bewaldeten Hügeln umgeben. Der Donnerstag versprach ein angenehmer Herbsttag zu werden. Einige Wolken schoben sich vor die Sonne, aber Regen drohte nicht zu fallen.

Als um kurz vor halb zwölf ein ungewöhnliches Geräusch zu hören war und dann die Erde bebte, herrschte auf dem Marktplatz reges Treiben. Sofort brach Panik aus. Einzelne Marktstände stürzten ein und, so berichtete Anna Ceri, eine Rentnerin, die sich ebenfalls auf dem Markt befand, „einige der Häuser hier kippten in sich zusammen.“

Das Beben dauerte nur einige Sekunden. Das Nationale geophysische Institut in Rom verzeichnete ein Erdbeben in einer Stärke von 5,4 Grad auf der Richterskala. Das Epizentrum lag an der Grenze zwischen den beiden süditalienischen Regionen Apulien und Molise, in dem hügeligen Gebiet zwischen Campobasso im Landesinneren und Tremoli an der adriatischen Küste. „5,6 Grad auf der Richterskala“, erklärte Geologin Francesca Cesarini, „ist schon eine recht gefährliche Angelegenheit.“

Auch ohne auf irgendwelche Messgeräte geschaut zu haben, begriffen viele Männer und Frauen in San Giuliano sofort, dass das Beben eine Gefahr für ihre Kinder bedeutet. In Windeseile fanden sich vor der örtlichen Schule dutzende von Elternpaaren ein. Das Schulgebäude, erst vor wenigen Jahrzehnten errichtet, war wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Das eingestürzte Dach hatte die Eingänge unter sich begraben. Niemand konnte folglich in die Schule gelangen. „Viele Leute drehten durch“, berichtete der Polizist Cesare Turini, „und versuchten in die Ruine zu gehen, was aber unmöglich war.“

Auch wenn infolge des Erdbebens in San Giuliano zahlreiche Gebäude beschädigt wurden, gelang es der städtischen Feuerwehr schnell, an die Schule heranzufahren. Hunderte von Menschen hatten sich in der Zwischenzeit eingefunden. Sofort war die Rede von möglichen toten Kindern. Die Verzweiflung trieb viele Mütter und Väter dazu, mit bloßen Händen den Schutt der Schule fortzuräumen, um in das Innere zu gelangen. Gegen 14 Uhr wurden die ersten Kinder heil geborgen. Jubel brach auf der Straße aus. Bis zum Abend mussten aber fünf tote Kinder aus den Trümmern geholt werden. Befürchtet wird, dass sich in dem zerstörten Schulgebäude noch weitere tote Schüler befinden. In der übrigen von dem Erdbeben betroffenen Region meldeten die Polizeidienststellen Risse in Wohnhäusern und eingestürzte Dächer. In Colletorto wurde die Ortskirche so sehr beschädigt, dass ihr Dach und der Kirchturm in sich zusammenfielen. Hunderte von Menschen in Molise wurden durch das schwere Erdbeben von einem Moment auf den anderen obdachlos. Erst in den nächsten Tagen, so ein Sprecher des Innenministeriums, können genaue Zahlen über die Zerstörungen an Gebäuden genannt werden. Damit diejenigen, die ihr Dach über dem Kopf verloren haben, nicht unter freiem Himmel die Nacht verbringen mussten, rückten Soldaten aus den Kasernen in Rom und Neapel aus. Sie errichteten dutzende von Großzelten für die Obdachlosen.

Die Region Molise wurde in der Vergangenheit oft von Erdbeben heimgesucht, die bis nach Neapel und nach Rom zu spüren waren. Geologen wie Francesca Cesarini vom nationalen geophysischen Institut in Rom zufolge wird seit einigen Monaten eine verstärkte Erdbebentätigkeit im gesamten Süditalien gemessen. Das habe seinen Grund in der erhöhten Reibung zwischen der afrikanischen und der eurasischen Erdplatte im Bereich des südlichen Mittelmeers.

Auch die zum Teil schweren Erdbeben der letzten Tage an den Hängen des sizilianischen Vulkans Ätna müssen mit diesen Reibungen der Erdplatten erklärt werden. In den Medien wird immer wieder eine Beziehung zwischen den Erdbeben und dem Aufbrechen neuer Krater am Vulkan hergestellt. Experten zufolge haben aber beide Phänomene nichts miteinander zu tun.

Thomas Migge[Rom]

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