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Es bleibt nur Trauer. Das Grab der beiden ermordeten Geschwister Chiara und Sharon auf dem Friedhof in Gräfelfing bei München. Die Mädchen wurden acht und elf Jahre alt.

© dpa

Nach Festnahme: Doppelmord von Krailling: Suche nach dem Motiv

Der Tatverdächtige im Fall Krailling schweigt. Die Ermittler sind sich sicher, dass sie den Täter haben - suchen aber immer noch das Motiv für die Kindermorde.

„Am Freitagnachmittag kam die Treffermeldung aus der Rechtsmedizin“, sagt Markus Kraus, Chef der Polizei-Sonderkommission im Fall der beiden in Krailling bei München ermordeten Schwestern Chiara (8 Jahre alt) und Sharon (11). Die DNA einer Blutspur am Tatort stimmte mit dem genetischen Fingerabdruck eines Mannes überein, der freiwillig eine Speichelprobe abgegeben hatte. Dann reagierte die Polizei: Ein Sondereinsatzkommando fuhr ins oberbayerische Peißenberg, 60 Kilometer südwestlich von München gelegen, und nahm um 17 Uhr den 50-jährigen Thomas S. vor seinem Haus fest. Er ist der Onkel von Chiara und Sharon, der Schwager von deren Mutter Anette S. Wie hat der bei der Verhaftung reagiert?, wird Kraus bei der am Samstag eilig angesetzten Pressekonferenz in München gefragt. „Ein solcher Zugriff geht sehr schnell, er hatte keine Zeit zu einer Reaktion.“

Die Ermittler sind sich sicher, dass sie den Täter haben, auch wenn er in einem langen abendlichen und nächtlichen Verhör nicht gestanden hat. Noch am Samstagnachmittag stellt Oberstaatsanwältin Andrea Titz Antrag auf Haftbefehl wegen dringenden Tatverdachts des zweifachen Mordes. Hatten die Ermittler neun Tage lang keine konkreten Erkenntnisse, so ging nun alles blitzschnell. Nur auf eine Frage gibt es noch keine Antwort: Warum wurden die Mädchen getötet?

Vergangene Woche, in der Nacht zum Donnerstag, waren die Mädchen in der Wohnung der alleinerziehenden Mutter erstochen und erschlagen worden. Mit einem Messer und einer Hantel, die sich am Tatort in der Kraillinger Margaretenstraße fanden. Das Verbrechen muss äußerst brutal gewesen sein. Die Mutter hatte gegen 22 Uhr 30 die Wohnung verlassen, sie kellnerte gelegentlich in der Musikkneipe ihres Freundes, dem „Schabernack“. Das Lokal liegt nur drei Häuser weiter, es sind 80 Meter. Wohnungs- und Haustür waren nicht abgesperrt, damit die Mädchen im Notfall, etwa bei einem Brand, nach draußen konnten. Als die Mutter und der Freund gegen 4 Uhr 45 morgens nach Hause kamen, fanden sie die beiden getöteten und wohl grauenvoll zugerichteten Mädchen.

Deshalb nahm die Polizei es als wahrscheinlich an, dass der Täter im familiären oder Freundesumfeld zu suchen ist, denn er kannte sich aus mit der Wohnung und den Lebensumständen der Familie. Die DNA aus dem Blut wurde als „täterrelevant“ eingeschätzt, so Markus Kraus. Das heißt: Sie stammte nicht von Helfern, die am Tatort waren, nicht von der Mutter oder dem Freund. Und es war die DNA eines Mannes. Wo die Blutspuren gefunden wurden, darüber schweigt die Polizei. Es muss aber eine direkte Verbindung zum Mord bestehen; Spuren könnten etwa am Messer oder auch an den Händen eines der Mädchen gewesen sein, als es sich im Todeskampf verzweifelt gewehrt hatte.

„Für uns alle ist das eine große Erleichterung“, sagt Oberstaatsanwältin Titz. „Die Bevölkerung kann jetzt beruhigter sein.“ In der Tat: Die vergangene Woche war in Krailling, das fünf Kilometer südwestlich Münchens am Flüsschen Würm liegt, unerträglich. Die Menschen hatten Wut und spürten Angst, denn es galt als sehr wahrscheinlich, dass der Täter aus dem 7500-Einwohner-Ort stammt. Kinder wurden von den Eltern zur Schule hingebracht und abgeholt. Reporter belagerten nicht nur das Haus, sondern auch etwa die Grundschule. „Das war sehr unschön“, beklagte sich die Rektorin Hermine Freystätter.

Und über allem stand in Krailling die Frage: War es einer von uns?

Die Musikkneipe „Schabernack“ wurde von Freunden und Stammgästen weiterbetrieben, man sammelte Geld für die Beerdigung. Am Freitagvormittag, wenige Stunden vor dem DNA-„Treffer“, wurden Chiara und Sharon in von Kindern bunt bemalten Holzsärgen und umgeben von einem Blumenmeer im nahen Gräfelfing beerdigt. Der mutmaßliche Täter Thomas S. und seine Frau Ursula S. - die Schwester der Mutter Anette S. und Tante der Ermordeten – waren nach Polizeiangaben nicht bei der Trauerfeier. Das Paar hat selbst vier Kinder, die alle unter dreizehn Jahre alt sind. Um sie, die Kinder des mutmaßlichen Krailling-Mörders, kümmert sich jetzt das Jugendamt.

Warum ersticht und erschlägt ein Onkel seine Nichten? Geschah das Gemetzel in einem spontanen Anfall, einem psychischen Ausnahmezustand? Oder war die Tat eiskalt geplant und ausgeführt? Wusste Thomas S., dass seine Schwägerin und ihr Freund nicht in der Wohnung im ersten Stock des orangefarbenen Hauses waren?

Auf all das gibt es noch keine sicheren Antworten, vielmehr kursieren zahlreiche Spekulationen. Fest steht, dass es keine sexuellen Motive gab. Medien berichten, es habe Streit zwischen den Familien um eine Erbschaft gegeben. „Das können wir nicht bestätigen, dazu haben wir keine Erkenntnisse“, sagt Ermittler Kraus, dem diese Theorie nicht schlüssig genug für eine solche Tat zu sein scheint.

Bei seiner Vernehmung habe Thomas S., der offenbar Postzusteller ist, einen „distanzierten, desinteressierten Eindruck“ gemacht, so Kraus. Es habe einige Widersprüche gegeben zwischen seiner ersten Vernehmung Anfang der Woche und der nach der Festnahme. Auch hat er Verletzungen. Nach einem Bericht der Münchner Boulevardzeitung „tz“ steckte die Familie des Onkels in großen finanziellen Schwierigkeiten. Die Frau und eines der Kinder sollen krank sein, ein Hausbau konnte nicht bezahlt werden. Immer wieder soll S. seine Schwägerin nach Geld und Unterstützung gefragt haben. Dabei habe auch eine Erbschaft eine Rolle gespielt. Hat er die Kinder ermordet, weil er sich rächen wollte, weil er die Zufriedenheit und das Glück dieser Familie nicht ertragen konnte?

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