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Panorama: Keine Geheimnisse

Früher wurden Probleme verschwiegen – jetzt gehen die US-Wahlkämpfer selbst in die Offensive

John F. Kennedy litt unter unsäglichen Rückenschmerzen und war ein Frauenheld. Betty Ford, die Gattin von US-Präsident Gerald Ford, war Alkoholikerin, und Tipper Gore, die Frau des früheren Vizepräsidenten Al Gore, wurde jahrelang wegen schwerer Depressionen behandelt. In allen drei Fällen wusste Amerikas Öffentlichkeit nichts oder sehr wenig über deren physische und psychische Schwächen und menschlichen Herausforderungen, bevor die Kennedys, die Fords und Gores ins Weiße Haus einzogen. Wie sich die Zeiten ändern, zeigte sich diese Woche, als der demokratische Präsidentschaftsanwärter John Edwards und seine Frau Elizabeth in North Carolina vor die Kameras traten.

Elizabeth Edwards’ Brustkrebs ist zurückgekehrt und nicht mehr heilbar, war der Inhalt der eilig einberufenen Pressekonferenz. Mehr als 19 Monate vor der Präsidentschaftswahl und zehn Monate vor den ersten Primaries (Vorwahlen) löste die Offenlegung eine hitzige Debatte aus. Auf der einen Seite sind diejenigen, die Mut und Solidarität des Paares angesichts dieser sehr persönlichen Tragödie loben. Es ist nicht die erste in ihrer Ehe: Die Edwards verloren ihren 16-Jährigen Sohn durch einen Autounfall. Auch wird Edwards’ Entschluss verteidigt, den Wahlkampf fortzusetzen: als „Test für seine Charakterstärke“. Zehn Millionen Amerikaner, die an Krebs leiden, würden sich auch nicht in eine dunkle Ecke verkriechen und sich vom Leben verabschieden, argumentieren sie.

Auf der anderen Seite stößt genau dieser Entschluss auf heftige Kritik und wird sogar als Egoismus verurteilt. Ganz zynische Beobachter halten die Offenlegung sogar für ein politisches Manöver in einem bereits heißen Vorwahlkampf.

So oder so, der Wahlkampf zeichnet sich durch Besonderheiten aus, die sehr eigene Debatten provozieren. Erstmals könnte eine Frau für die Demokraten antreten. Hillary Clinton, nicht nur einst First Lady, ist zudem mit Bill verheiratet, der zwar einer der beliebtesten Ex-Präsidenten ist, aber das Land mit Lust und Lüge in eine schwere Krise gestürzt hatte.

Heißt der Kandidat Barack Obama, wäre auch dies ein „First“. Der Jungsenator aus Illinois ist Afroamerikaner, kein geringes Handicap in einem Land, das noch vor 50 Jahren Schwarzen verbot, im Bus neben Weißen zu sitzen. Dass er Marihuana und Kokain ausprobierte, wissen die Wähler längst – durch seine Autobiografie. Bill Clinton musste sich noch hinter der Ausrede verstecken, dass er zwar Pot geraucht, aber „nicht inhaliert“ habe.

Auf republikanischer Seite gab es zwar Stirnrunzeln, als der frühere New Yorker Bürgermeister, Rudy Giuliani, abrupt seine zweite Ehe beendete und wenig später seine Geliebte heiratete. Aber das ist sieben Jahre her. Und dass er keine guten Beziehungen zu seinen Kindern aus der ersten Ehe pflegt, ist nur eine Randnotiz in der offiziellen Vita des populären „American Mayor“. Selbst John McCain, der Kriegsheld, ist einmal geschieden. Eine Tatsache, die 1980, als Ronald Reagan ins höchste Amt gewählt wurde, im puritanischen Amerika Schlagzeilen machte.

Einig sind sich die meisten Beobachter in einem: dass es besser ist, hässliche Wahrheiten und persönliche Tragödien früher ans Licht zu bringen. In Zeiten steten Voyeurismus, der Blogs und des „Citizen Journalism“ – Bürgerjournalismus – kommen sie ans Licht, so oder so.

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