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Papst Benedikt XVI. umarmt bei einer Veranstaltung im Jahr 2006 den Erzbischof Friedrich Wetter.

© Matthias Schrader/dpa

Missbrauchsskandal der Katholischen Kirche: Keine Gnade mehr für die Heiligen Väter

Ein Gutachten stellt nun auch Fehlverhalten des emeritierten Papst Benedikts heraus. Wie viel kann sich die Kirche noch leisten? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Was muss noch geschehen, damit etwas geschieht? Dieser Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, mit hunderten Betroffenen, hunderten Tätern, muss doch endlich zu einem Handeln von Grund auf führen.

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Wie viele Missbrauchsschlechtachten – von Gutachten mag man nur schon des Wortes wegen gar nicht sprechen – wie jetzt in München zum Verhalten von Kirchenoberen und -obersten muss es denn noch geben, ehe Abhilfe geschaffen wird? Und die darf nicht Halt machen auch vor den Heiligen Vätern, wie sie ehrfurchtsvoll genannt werden, vor dem deutschen Papst Benedikt XVI. in seiner Verantwortung als Münchner Kardinal Joseph Ratzinger.

Nahezu alle, die die Kirche als Ganzes repräsentieren, haben Schuld auf sich geladen. Ob der Einzelne in zwei, vier, 20 oder 200 Fällen, darauf kommt es schon gar nicht mehr an – jeder Fall eines Missbrauchs an Leib und Seele ist einer zu viel.

Seelsorger, die sich an ihnen Anvertrauten oder denen vergehen, die sich ihnen anvertrauen, müssten sich allesamt selbst anklagen. Und dürften sich nicht verzeihen, dass sie oft Leben zerstört haben. Zumal nicht, weil sie – in ihrer Welt – das Gottvertrauen missbraucht haben. In Gottes Namen: welche Blasphemie!

Niemand will verantwortlich sein

Was will die Kirche noch leugnen, angesichts detaillierter, differenzierter, prononcierter Beschreibungen auf vielen, vielen Seiten? Die Monströsität in jederlei Hinsicht, auch in den Einlassungen der Verantwortlichen dazu, ist peinigend. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, verschleiern, vertuschen, verschweigen, das ist – mafiös.

Und die Opfer, wer hilft ihnen, bis heute, wenn nicht sie sich selbst? Von all den Kardinälen, Bischöfen, Generalvikaren beugen viel zu wenige ihr Haupt, gehen viel zu wenige auch im übertragenen Sinn auf die Knie, um Abbitte zu leisten, um Vergebung zu erbitten, bei den Opfern in jedem Fall. In jedem einzelnen.

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Stattdessen wird Verantwortung nach unten weitergereicht, Unzuständigkeit ins Feld geführt, Unwissen vorgeschützt. Bis hin zu Papst Benedikt XVI. Es ist beschämend, grotesk, kaum zu glauben, was aus den vergangenen Jahrzehnten bekannt wird.

Mehr noch, es ist rechtsrelevant. Mögen die weltlichen Gerichte übernehmen, was die kirchlichen nicht geleistet haben. Soll mal keiner von denen, die Schuld auf sich geladen haben, glauben, er könne davonkommen. Schon auf Erden nicht.

Da hilft nur ein Neuanfang

Was jetzt nötig wäre: Aufklärung bis auf die Grundfesten. Wahrheitskommissionen, die ohne Ansehen der Person den Opfern Genugtuung für Seelennöte verschaffen. Eine Reform an Haupt und Gliedern, ein ethischer, demokratischer Neuaufbau, eine andere Sexualmoral.

Ein Rücktritt nicht nur einzelner Bischöfe, sondern des gesamten Episkopats – und dessen Annahme durch dem amtierenden Papst, Franziskus, um einen Neuanfang glaubwürdig zu machen. Schluss mit dem ewigen Zögern und Hinauszögern!

Das Wort Gottes zu verkündigen, wie Münchens Kardinal Reinhard Marx es als seine vorrangige Aufgabe beschrieben hat, bedeutet, es zu leben. Sozialität, Solidarität, die Hinwendung zum Menschen, alles das ist nicht beliebig, sondern verpflichtend, weil das System Kirche sonst nicht zu halten ist.

Gerade Franziskus – man bedenke den Namen – sagt doch, dass die Zeit der Pfründe und der Hoffart vorbei ist. Wenn er dem Geltung verschaffen will, dann schnell.

Die bröckelnde Fassade im Vatikan

Allein in Deutschland fliehen die Gläubigen, tausende sind es monatlich in den Diözesen, anhaltend. Nur noch zwölf Prozent der Bundesbürger vertrauen der katholischen Kirche. Sinkt diese Zahl weiter, sinkt doch auch die Chance, noch gute Werke zu tun, karitative.

Für die, die daran glauben: gottgefällige. Was aber gerade geschieht, kann ihm nicht gefallen.

In der Kirche bebt es, sie ist vom Einsturz bedroht, einschließlich der Mauern des Vatikans. Papst Franziskus kann mit dem Aufräumen nicht bis zum Tod seines Vorgängers warten, wenn das sein Kalkül sein sollte. Sagen wir so: Gnade ihm Gott.

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