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Die Anti-Traumfrau. Ilka Bessin aus Luckenwalde inszeniert ihre Figur milieugerecht und authentisch. Foto: Jakob Studnar/dapd

© dapd

Cindy aus Marzahn: Prinzessin aus dem Plattenbau

Schrill, vulgär, selbstironisch und eben nicht makellos: Cindy aus Marzahn ist der Star der deutschen Comedy-Szene.

Sie ist Komikerin und Anti-Traumfrau, beerbte die schöne Michelle Hunziker bei „Wetten das...?“ und robbte sich von der Arbeitslosigkeit ins Epizentrum der deutschen Abendunterhaltung. Von Loriot genügte ein „Ach“ oder ein „Aha“, um uns zum Lachen zu bringen. Cindy aus Marzahn muss nur ankündigen, dass sie gleich aufs Klo geht, und kassiert dafür massenhaft Lacher. Die Komikerin, mit bürgerlichem Namen Ilka Bessin, 42 Jahre alt, hat sonst nicht viel gemein mit Loriot. Aber wenn sie in ihrer rosa-pinken Aufmachung auf die Bühne tritt, als hätte sich Obelix in ein Prinzessin-Lillifee-Kostüm gepresst, mit einem blinkenden Strass-Krönchen in der dauergewellten blonden Perücke, dann bringt sie ganze Säle zum Kichern. Das Publikum und die Programmchefs deutscher Fernsehsender lieben sie für diese Rolle der Proll-Prinzessin.

Im Oktober 2012 wurde Cindy aus Marzahn zum vierten Mal in Folge als beste Komikerin mit dem Deutschen Comedy Preis geehrt. Mit ihren Bühnenshows „Schizophren – Ich wollte ‘ne Prinzessin sein” und „Nicht jeder Prinz kommt uff’m Pferd“ füllte sie Hallen und Arenen von Braunschweig bis Zwickau. Die Stand-Up-Komikerin ist ein Phänomen im deutschen Comedy-Geschäft. Außer ihr gibt es nur noch einige wenige brillante Sketch-Komikerinnen wie Anke Engelke oder Martina Hill. Aber es bleibt dabei, Frauen sind auf deutschen Comedy-Bühnen eher selten. Und Cindy aus Marzahn läuft mittlerweile sogar ihren männlichen Kollegen den Rang ab.

Sie ist zur besten Sendezeit in den großen Fernsehsendungen zu sehen. Im ZDF-Showklassiker „Wetten das...?“ soll sie den eher lahmen Insolvenzverwalter-Gags des Moderators Markus Lanz etwas entgegensetzen. Die Sender RTL und ZDF rangeln sich um sie. Gerüchte, RTL hätte Ilka Bessin den Auftritt bei „Wetten das...?“ verboten, machten die Runde, als die Komikerin wegen eines spontanen Rückenleidens ihre zweite Sendung beim ZDF absagte. Stattdessen saß dort der einst viel berühmtere Komiker Atze Schröder als Cindy-Counterfeit im pinken Frotteestrampler auf der Showcouch. Eine 60-Sekunden-Videoschaltung zeigte dann doch noch die echte Cindy, wie sie sich mit schmerzendem Rücken auf dem Boden kriechend Lakritzschnecken in den Mund stopfte. Zeitgleich lief auf dem Privatsender RTL ihre eigene Show „Cindy aus Marzahn und die jungen Wilden“.

Die Komikerin ist überall präsent. Besser könnte es für sie nicht laufen. Das deutsche Publikum hat sich noch immer nicht sattgesehen an ihr, obwohl sie seit rund zehn Jahren beständig durch verschiedene Comedy-Formate tingelt. Das Publikum schätzt sie, weil sie eben nicht makellos ist, und sicher auch wegen der Selbstironie und Liebenswürdigkeit, die sie ihrer Rolle verleiht. Auf ihrer Facebook-Seite posten Fans, es sind vornehmlich Frauen, Herzchen und schreiben Sätze wie „Du bist Toll Cindy! Muss immer über deinen ,Witz’ lachen. Weiter so meine Gute.“ Oder: „ich liebe dich cindy. du bist die beeeeeeeste :-)))).“ Man müsste das eigentlich nicht erwähnen, aber Cindy aus Marzahn hat mehr „Likes“ auf Facebook als Michelle Hunziker und Angela Merkel zusammen. Dabei ist sie vulgär, schrill und eigentlich zum Wegzappen „unterschichtig“. Auf der Bühne spielt Ilka Bessin die Rolle der unansehnlichen Langzeitarbeitslosen: „Mittlerweile kriege ick Hartz acht. Also Hartz IV plus zweimal Kinderjeld“, sagt sie mit rotzfrechem Berliner Akzent ins Mikrofon. Im Grunde sind Frauen wie Cindy aus Marzahn jeden Nachmittag im deutschen Privatfernsehen zu sehen und bringen viele Zuschauer zum Fremdschämen. Sie sind fettleibig, arbeitslos, vom Mann verlassen oder ungewollt schwanger. Aber Cindy aus Marzahn kämpft nicht am sozialen Rand, ihre Show läuft in der Primetime – und sie ist komisch.

Der Philosoph Bergson beschreibt das Lachen als ein Korrektiv der Gesellschaft gegenüber dem Außenseiter. Das Gelächter hole den Außenseiter vom Rand zurück in die gesellschaftliche Mitte. Wenn das so ist, dann kann sich der Leistungsmensch mit der Rolle von Cindy aus Marzahn rückversichern, im Leben doch alles richtig zu machen. Und der Schlendrian, der Mensch aus dem Sozialbau im städtischen Speckgürtel, findet eine verwandte Seele. Alle aber können sie herzlich dabei kichern.

Die „Prinzessin aus dem Plattenbau“ ist bei der Produktionsfirma „Brainpool TV“ unter Vertrag, wie auch die Unterhalter Anke Engelke oder Bastian Pastewka. Ilka Bessin hat ihren eigenen Agenten, schließlich sind ihre Shows sehr gefragt. Die Figur der Anti-Traumfrau aus dem Prekariat ist gut erfunden und milieugerecht inszeniert. Ihre Gags seien so authentisch, weil sie sie tatsächlich erlebt habe, sagt Ilka Bessin. Vor mehr als zehn Jahren war sie selbst mal am äußersten Rand der Gesellschaft. Die gelernte Köchin und Hotelfachfrau schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch das Leben und war, so erzählt sie es, vier Jahre lang ohne Arbeit. Der Witz war ihre Waffe für den Aufstieg nach dem Fall: „Ehe andere über mich lachen, mache ich das lieber selber“, sagte sie in einem Interview. Ihr Comedy-Talent probte sie zunächst als Animateurin auf einem Kreuzfahrtschiff in der Rolle der Putzfrau Emma Zopf, die sich über die Reisegäste an Bord lustig machte, bevor sie ihre Figur Cindy aus Marzahn entwickelte.

Tatsächlich stammt Ilka Bessin aus dem brandenburgischen Luckenwalde, 50 Kilometer entfernt von Berlin, und nicht aus dem Ostberliner Stadtteil Marzahn. Das macht aber nichts. Auch Luckenwalde bot genügend Lektionen aus dem Lebensraum ostdeutscher Tristesse mit prolliger Schnauze und den milieutypischen Namen: Sandy, Mandy ... Ah, Cindy! Und dieser Cindy verlieh Ilka Bessin, bei aller Unansehnlichkeit, etwas zutiefst würdevoll Liebreizendes.

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