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Exemplarisches Böllern in Unterfranken. Den Flüchtlingen in der städtischen Einrichtung soll gezeigt werden, wie geböllert wird. Dazu möchte die Stadt mit den Flüchtlingen Raketen steigen lassen.

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Update

Reichenberg in Unterfranken: Probe-Böllern für Flüchtlinge zwei Tage vor Silvester

Während in vielen Flüchtlingsunterkünften Feuerwerk untersagt ist, möchte eine Gemeinde in Unterfranken ein frühzeitiges Silvesterfest für Flüchtlinge zelebrieren.

"Reichenberger Lichterzauber" nennt die Stadt Reichenberg eine Art Silvesterprobe, die nur für Flüchtlinge durchgeführt werden soll. Die Bewohner der Asylunterkunft sollen am heutigen Dienstag auf die Silvesternacht vorbereitet werden. Den derzeit 64 Menschen in der Wolffskeelhalle, die größtenteils aus Syrien und Afghanistan stammen, soll gezeigt werden, wie es in Deutschland am 31. Dezember nicht nur um Mitternacht hergeht. "Den Flüchtlingen soll die Angst genommen werden", sagt Dagmar Hofmann, Pressesprecherin des Landratsamts dem Tagesspiegel.

Es solle eine reine Informationsveranstaltung ohne Showeffekte werden. "Es werden einige Raketen im Hellen gezündet", erklärt Hofmann. Aufgrund des enormen medialen Interesses wurde der "Lichterzauber" von Montag auf den heutigen Dienstag um 16 Uhr verschoben. Medienvertreter haben keinen Zutritt auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft und sind vom "Lichterzauber" ausgeschlossen. Pressesprecherin Hofmann möchte nicht von einem "Probefeuerwerk für Flüchtlinge" sprechen, wie es in den letzten Tag in diversen Zeitungen geheißen hatte.

Auch Bürgermeister Stefan Hemmerich wird vor Ort sein und eventuell auch eine Rakete starten lassen. "Das überlege ich mir dann vor Ort", sagte er dem Tagesspiegel am Dienstag. Die Stadt verfügt über eine Sondergenehmigung für die Raketen, die an der Flüchtlingsunterkunft in die Luft steigen werden - normalerweise ist Feuerwerk nur in der Silvesternacht von 16 bis 6 Uhr erlaubt. Die Genehmigung gilt jedoch nur für Raketen, nicht für Böller. Daher wird man es bei "drei oder vier" Raketen belassen, hieß es am Dienstag kurz vor Beginn der Veranstaltung seitens des Landratsamts. Zudem werden Wunderkerzen und andere Kleinigkeiten zum Einsatz kommen. Auch der Bürgermeister sagt amüsiert: "Es wird kein zweites Kiliani werden." Zu dem Volksfest zum heiligen Kilian, dem Schutzpatron Frankens, wird in Würzburg im Juli jährlich ein üppiges Feuerwerk entzündet. "Ich bereite meine Kinder ja auch auf Silvester vor, indem ich vorher mit ihnen einmal Böller anzünde", sagt der 45-jährige Bürgermeister weiter.

Aus "Lichterzauber" wird "Infoveranstaltung"

Der "Lichterzauber" werde im Privatbereich der Flüchtlinge stattfinden, im Rahmen der Notunterkunft. Alexander Kehr, Geschäftsleiter der Marktgemeinde Reichenberg, hatte der Augsburger Allgemeinen Zeitung am Montag gesagt, alle Reichenberger Bürger seien zum "Lichterzauber" willkommen, das Fest solle auch die Gemeinschaft zwischen Reichenberger Bürgern und Flüchtlingen stärken. Kehr befindet sich derzeit im Urlaub. Bürgermeister Hemmerich erzählt, dass es anfänglich so gedacht gewesen sei, man aber nun aufgrund des immensen medialen Interesses von einer öffentlichen Veranstaltung abgesehen habe.

Anfänglich hatte die Stadt ein kleines Fest mit Stockbrot am Lagerfeuer und einem Fackelzug durch die Stadt geplant. Aufgrund des medialen Interesses - mehrere Kamerateams hatten sich angekündigt - begnügt man sich nun mit einer "Infoveranstaltung". Aus dem "Reichenberger Lichterzauber" wurde eine "reine Infoveranstaltung für Flüchtlinge mit drei bis vier Raketen". Auch die Öffentlichkeit wird nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Generell haben Privatpersonen auf dem Gelände der Unterkunft keinen Zutritt und werden von den Sicherheitsleuten empfangen. Zum Lichterzauber beziehungsweise der Infoveranstaltung solle allerdings "natürlich niemand abgewiesen werden", sagt Hemmerich.

Interessiert Bürger oder Medienvertreter werden nicht auf das Gelände gelassen, sind aber "herzlich eingeladen", das Geschehen von außerhalb zu verfolgen. "Aber es wird nicht viel zu sehen geben", sagt Pressesprecherin Hofmann. Marcus Alezze, Sprecher des Arbeitskreises Freizeit und Kultur in der Reichenberger Notunterkunft, meint sogar, es könnte alles sehr skurril werden und ganz schnell vorbei sein: "Es wird Leute geben, die sich wundern, was wir da machen. Vielleicht lachen uns die Flüchtlinge auch aus."

Ein Plakat weist am Montag in der Landeserstaufnahmestelle in Meßstetten (Baden-Württemberg) in arabischer Schrift darauf hin, dass innerhalb der Landeserstaufnahmestelle keine Feuerwerkskörper gezündet werden dürfen. Außerhalb des Camps dürfen Feuerwerkskörper benutzt werden.
Ein Plakat weist am Montag in der Landeserstaufnahmestelle in Meßstetten (Baden-Württemberg) in arabischer Schrift darauf hin, dass innerhalb der Landeserstaufnahmestelle keine Feuerwerkskörper gezündet werden dürfen. Außerhalb des Camps dürfen Feuerwerkskörper benutzt werden.

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In der Reichenberger Flüchtlingsunterkunft hatte es aufgrund einer Treibjagd in dem nahe gelegenen Wald vor einigen Wochen Unruhe gegeben. Ebenso, als Düsenjets über die Region geflogen waren. Vor allem Kinder hätten panisch reagiert und sich auf den Boden gelegt.

Für Flüchtlinge ist der 31. Dezember ein ganz normaler Tag

Für die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan ist der 31. Dezember ein ganz normaler Tag und nicht der Termin des Jahreswechsels. Der islamische Jahreswechsel richtet sich nach dem Mondkalender und fällt nicht mit dem 31. Dezember zusammen. Lautes Knallen, wie es hierzulande in der Silvesternacht üblich ist, weckt bei vielen Flüchtlingen schreckliche Assoziationen - an den Krieg und die Gewalt in der Heimat. Die Gemeinde Reichenberg hat daher zudem ein mehrsprachiges Informationsblatt auf Englisch, Französisch und Arabisch angefertigt.

"Es ist wichtig, die Flüchtlinge frühzeitig über Silvester aufzuklären und deutlich zu machen, dass dieses Fest mit Freude verbunden ist", sagt Andrea Kübler, Professorin für Interventionspsychologie an der Uni Würzburg der Augsburger Allgemeinen Zeitung. "Silvester ist eine kulturelle Gegebenheit, mit der man früher oder später zurechtkommen muss."

Während man in Unterfranken die Flüchtlinge also sanft in den Silvesterbrauch einböllern möchte, dürfen Flüchtlinge in den Unterkünften in Nordrhein-Westfalen zum Jahreswechsel gar nicht selber knallen oder Raketen steigen lassen. Die Bezirksregierung Arnsberg hat ein dementsprechendes Verbot für Flüchtlingsunterkünfte verhängt. "Wir weisen die Bewohner unserer Unterkünfte in mehreren Sprachen darauf hin, dass sie aus Sicherheitsgründen nicht knallen dürfen und daher erst gar keine Böller kaufen sollten", sagte Sprecher Christoph Söbbeler am Montag. Grund sei zum einen die erhöhte Brandgefahr der Leichtbauhallen, zum anderen soll Rücksicht auf die möglicherweise traumatisierten Flüchtlinge genommen werden. Deswegen ruft die Feuerwehr im westfälischen Arnsberg dazu auf, in diesem Jahr darüber nachzudenken, komplett auf Feuerwerkskörper zu verzichten. Mal abgesehen von der Arbeit, die eine Silvesternacht der Feuerwehr ohnehin jedes Jahr bereite.

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