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Der deutsche Survival-Experte und Aktivist für Menschenrechte, Rüdiger Nehberg, hat Feuer gemacht.

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Abenteurer und Aktivist: "Sir Vival" Rüdiger Nehberg wird 80

Als Konditor Rüdiger Nehberg Marzipan gegen Moskito tauschte und seine Backstube für immer verließ, hatte er bereits medienwirksam die Welt erobert. Der Abenteurer ist zu einem Augenzeugen geworden und kämpft gegen die Beschneidung weiblicher Genitalien.

Diesmal steht der Dschungel in Rausdorf - und der Abenteurer zieht sich erst einmal ein wärmeres Hemd an. Rüdiger Nehberg zeigt in seinem großzügigen Garten in dem beschaulichen Ort bei Hamburg, wo er sich vorbereitet hat, bevor er zu seinen spektakulären Reisen aufbrach. Zu den Atlantiküberquerungen etwa, die er mal auf dem Tretboot, mal auf einem Bambusfloß bewältigte.

Oder zum Trip durch den brasilianischen Regenwald, bei dem er, nur mit einem Messer bewaffnet, zwischenzeitlich als verschollen galt. So einer kann sich nicht zur Ruhe setzen - auch nicht, wenn er wie Nehberg am Montag 80 wird. „Ich merke, dass es nachlässt, dass die Kräfte schwinden“, sagt Nehberg zwar. Allerdings dürfte er dabei eher an solche Aktionen wie sein Abseilen vom Hubschrauber 50 Meter über dem Urwald denken. So dynamisch wie er auch jetzt noch wirkt, wie er die Treppe in seiner umgebauten Mühle nach unten rennt, wie es ihn kaum auf dem Stuhl hält - man kann sich gut vorstellen, dass dem einstigen selbstständigen Konditor die Backstube in Hamburg, die immerhin 50 Mitarbeiter beschäftigte, irgendwann zu eng wurde. Dass er 1990 - gut 20 Jahre nach seiner Bezwingung des Blauen Nils, der weitere Expeditionen folgten - endgültig Marzipan und Mürbeteig gegen Moskitos tauschte.

„Meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit des Anderen beginnt“

„Annette hat mir heute Morgen bestimmt etwas in den Kaffee getan“, sagt Nehberg und grinst seine neben ihm sitzende Frau an. „Das ist schon so, dass da eine Energie da ist, die sehr anstrengend sein kann“, formuliert es die 55-Jährige diplomatisch. Seit bald sechs Jahren sind sie verheiratet, ihren gemeinsamen Weg gehen sie schon viel länger. Sie, die zweite Ehefrau an Nehbergs Seite, hielt schon 2003 in Rausdorf die Stellung, als er zur Regenwaldexpedition in Brasilien aufbrach. „Meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit des Anderen beginnt“, sagt sie. „Und er wäre nicht „Sir Vival“, wenn ich ihn nicht lassen würde. “ Vom Begriff „Survival“ hörte Nehberg in den 60er Jahren zum ersten Mal - später wurde er selbst zum deutschen „Sir Vival“ schlechthin. Auch dank seiner Bücher mit Überlebenstrainingstipps wie dem bereits Ende der 70er Jahre erschienenen „Die Kunst zu überleben - Survival“.

Der erste (Stoff-)Geier ist schon eingetroffen. Mehr als 20 Raubüberfälle soll Rüdiger Nehberg überlebt haben. Der Abenteurer wird am Montag 80 Jahre alt.

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Er richtete daheim Survivalcamps aus. Noch immer sind hinter seinem Haus Seile zwischen Bäumen gespannt, liegen dort große Feuersteine. Wasser rauscht, Äste und Zweige knacken - Nehberg bahnt sich seinen Weg. Plötzlich kniet er sich hin, mit einem Feuerstein und Eisen versucht er Feuer zu machen - im Nu fliegen die Funken. „Feuer hat etwas Geborgenes“, sagt er. „Es bringt einen warm durch die Nacht und hält gefährliche Tiere fern.“ Gefahren, denen er so oft ausgesetzt war und letztlich seine Bekanntheit als Abenteurer verdankt.

Ohne Geld und Proviant durch Deutschland

„Früher war es die Lust, sich selbst etwas zu beweisen, und die Neugier auf die Welt“, erzählt der gebürtige Bielefelder über das, was ihn antrieb. Etwa dazu, ohne Geld und Proviant Deutschland zu durchwandern und sich unter anderem von Regenwürmern zu ernähren.

Doch die Begegnung mit den von Goldgräbern bedrohten Yanomami-Indianern im brasilianischen Regenwald veränderte sein Leben. Der Abenteurer wurde zum Augenzeugen, wollte seinen Aktionen fortan einen Sinn geben - und kämpft seither als Aktivist für Menschenrechte. „Ich muss mich tierisch beeilen, denn ich habe noch viele Pläne und die kann Annette nicht alle realisieren“, sagt er.

Nehberg hat ein Ziel. Er hat Target (englisch „Ziel“) - so heißt der Verein, mit dem er gegen die Beschneidung weiblicher Genitalien kämpft. Den Durchbruch brachte 2006 eine von Target initiierte Konferenz hochrangiger islamischer Gelehrter in Kairo, die die Genitalverstümmelung in Form einer Fatwa als nach islamischem Recht verboten deklarierte.

„Ihr beleidigt eure Religion, wenn ihr eure Mädchen verstümmelt“

„Mein letztes Ziel ist die Kooperation mit Saudi-Arabien. Dort werden Frauen zwar nicht verstümmelt, aber wenn in Mekka allen Pilgern verkündet würde: „Ihr beleidigt eure Religion, wenn ihr eure Mädchen verstümmelt“, hätte das eine unglaubliche Kraft. Von dort würde die Botschaft in die Welt getragen.“ So wird es auch am Geburtstag keine Party geben, sondern einen Empfang im Hamburger Rathaus, bei dem die Ziele von Target im Mittelpunkt stehen sollen. Denn Nehberg macht weiter. „Auch wenn der erste Geier schon eingetroffen ist“, sagt der Mann, der oft dem Tod entkam (allein mehr als 20 Raubüberfälle soll er überlebt haben) - und greift zu einem Stoffgeier.

Sich selbst nennt er zwar nur noch den „Reste-Rüdi“, weil er so ziemlich alles, was ihm herausoperiert wurde, in einem „immer voller werdenden“ Alkoholglas sammelt. Aber seine Ziele treiben ihn an. „Ich wäre selbst mit 100 noch nicht in Rente“, erklärt er. Das Image als „Würmerfresser“ würde ihm dann wohl immer noch anhaften - „aber damit kann ich gut leben“. (dpa)

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