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Eine Künstlerin bemalt beim Blumen - und Pflanzenfest in einem Park in Bagdad das Gesicht eines Kindes.

© AFP/AHMAD AL-RUBAYE

Politische Desillusion im Irak: Die Jugend versucht dennoch den Aufbruch

20 Jahre nach der US-geführten Invasion kämpft Irak mit den Folgen. Doch in Bagdad arbeitet eine junge Generation an einer Perspektive für das Land.

Von Hanna Spanhel

Ghada Ahmad war elf, als der Krieg begann. „Wir haben die Bomben von unserer Wohnung aus gesehen“, erzählt die heute 31-jährige. Wenn die Sirenen heulten, sei die Familie unter die Treppe geflüchtet. Natürlich hätte sie Angst gehabt. „Aber wir Iraker haben so viele Kriege erlebt“, sagt sie und lacht. „Meine Eltern sagten: Das ist wie ein Sturm, der vorübergeht.“

Dieser Sturm, das war der Beginn der von den USA angeführten Invasion in den Irak vor 20 Jahren. Diktator Saddam Hussein, so hatte die damalige US-Regierung unter George W. Bush behauptet, plane den Einsatz von Massenvernichtungswaffen und unterstütze Terrorismus.

In der Nacht zum 20. März 2003 begann eine Militärallianz unter US-Führung mit Bombardements. Sechs Wochen später rief Bush den Sieg aus. Ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gab es nie, die Behauptungen der USA stellten sich als falsch heraus. Die Folgen der Invasion und anschließenden Besatzung aber wirken nach.

Spuren von Krieg und Terror überall

Wie Ghada Ahmad sind Generationen im Irak mit Krieg und Krise aufgewachsen. Nach dem offiziellen Ende der Besatzung 2011 lieferten sich irakische Sicherheitskräfte jahrelang Gefechte mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS). Seit Ende 2017 gilt der IS als besiegt, zu Anschlägen kommt es seltener.

Die Besatzung hat dem Irak Tragödien gebracht, aber keine Freiheit.

 Muntazer al-Zaidi, irakischer Journalist

Die Spuren von Terror und Krieg aber prägen Bagdad, große Hotels oder politische Einrichtungen sind von Betonwällen umgeben, überall stehen bewaffnete Sicherheitskräfte. Viele Iraker sehen im Krieg von 2003 den Ursprung für diese Lage.

„Die Besatzung hat dem Irak Tragödien gebracht, aber keine Freiheit“, sagt Muntazer al-Zaidi, ein irakischer Journalist. Laut Analysen gab es durch Krieg und Besatzung zwischen 2003 und 2011 Hunderttausende Opfer. Unter der Einmischung der USA, aber auch des Iran, leide der Irak bis heute, so der 43-Jährige.

Der Journalist Muntazer al-Zaid, der mit seinem Schuhwurf auf US-Präsident Bush weltweit bekannt wurde, auf einem Archivbild von 2008.

© AFP/STR

Es war al-Zaidi, der Im Dezember 2008 bei einer Pressekonferenz in Bagdad seine Schuhe auf George W. Bush. warf „Das ist ein Abschiedskuss“, rief er – und wurde von seinen Landsleuten gefeiert. Ein Jahr saß er in Haft, später ging er in die Politik, um sich frustriert wieder abzuwenden. „Solange es dieselbe Verfassung und Parteien wie 2003 gibt, wird sich die Situation nicht verbessern“, sagt er.

2019 zogen Tausende, vor allem junge Iraker, für Veränderung auf die Straße und den Tahrir-Platz – bis Sicherheitskräfte und Milizen die Proteste gewaltsam auflösten. Seither setzen sich viele auf andere Weise für Veränderung ein, etwa im Startup-Zentrum „The Station“ mitten in Bagdad.

Jungunternehmer treffen sich

„Viele der Leute hier waren 2019 auf dem Tahrir-Platz“, sagt Ghada Ahmad, perfektes Englisch, die langen Haare trägt sie offen. Sie sitzt im Café der „Station“, einem hohen Raum mit Backsteinwänden. An den Tischen sitzen Leute allein oder in Gruppen, viele am Laptop.

Solange es dieselbe Verfassung und Parteien wie 2003 gibt, wird sich die Situation nicht verbessern.

 Muntazer al-Zaidi, irakischer Journalist

Nebenan ist ein Co-Working-Space, im „Macher-Raum“ dahinter findet ein Workshop zu 3-D-Druck statt. Es könnte ein Startup-Hub irgendwo in Berlin sein, wären da nicht die bewaffneten Sicherheitskräfte vor dem Gebäude.

„Als ich 2014 von der Uni kam, gab es kaum junge Entrepreneure“, sagt Ghada Ahmad, die im Marketing tätig ist. „Aber in den letzten sechs Jahren hat sich viel getan.“ Es gab neue Initiativen, Investoren, Unterstützung aus dem Ausland. Heute arbeiten in der „Station“ Filmproduktionsfirmen, Designerinnen oder App-Programmierer. „Die politische Situation macht es uns nicht leicht, aber es gibt viele Ideen“, sagt Ghada Ahmad.

Weiblicher Fahrradclub in einem Park in Bagdad. Frauen erobern mehr Freiräume im heutigen Irak.

© AFP/AHMAD AL-RUBAYE

Im Oktober 2022 hat sich im Irak nach fast einem Jahr politischen Stillstands eine neue Regierung gefunden. Premier al-Sudani kündigte Neuwahlen an und ein Ende der Korruption – aber viele sind skeptisch. Zu tief stecke die politische Elite im Korruptionssumpf.

Die politische Situation macht es uns nicht leicht, aber es gibt viele Ideen.

Ghada Ahmad, Irakische Entrepreneurin

„In den letzten 20 Jahren hat Klientelpolitik eine enorme Bedeutung bekommen“, sagt Joost Hiltermann, Irak-Experte der Crisis Group. Als Grund sieht er ein politisches System, das nach der US-Invasion entlang von ethno-konfessionellen Linien aufgebaut wurde. Das System, das Sunniten ausgrenzte, habe auch den Extremismus angefacht. Und die Auflösung der Armee damals habe das Erstarken von Milizen befördert, viele vom Iran unterstützt.

Grundprobleme indes werden seit Jahren nicht angegangen. Es gibt ständig Stromausfälle, Drogenprobleme, die Wirtschaft ist vom Öl abhängig, die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Doch viele junge Menschen haben genug vom Elend, sie wollen eine Perspektive. Sie treffen sich in Kulturzentren, gründen Firmen. Und abends sitzen sie in Bagdads neuen, hippen Cafés.

So wie Aya Salih. Vor drei Jahren hat sie sich als Reiseführerin selbstständig gemacht, führt nun Neugierige durchs Land. „Ich wollte verändern, wie Leute aus dem Ausland den Irak sehen.“ Auch Salih ärgert sich über die „Unfähigkeit“ der Politik, die Wirtschaftslage, die Milizen. Aber sie hat Hoffnung.

„Viele junge Leute, gerade Frauen, wehren sich gegen alte Vorstellungen und Barrieren“, sagt Aya Salih und meint damit auch sich selbst. In der Bar, in der sie sitzt, läuft amerikanische Popmusik, sie bestellt einen Cocktail. „Der Irak verändert sich.“

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