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Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan halten nach Schließung der Wahllokale ein Plakat mit seinem Konterfrei vor der AKPO-Zentrale in die Höhe.

© AFP/ADEM ALTAN

Erdogan-Wähler in Deutschland: „Er gewinnt den Wettbewerb um die Herzen“

Viele der 1,5 Millionen Stimmberechtigten aus der Türkei votierten am Sonntag für den Präsidenten. Experten erklären, was sie an dem Autokraten schätzen.

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Der baden-württembergische Finanzminister war entsetzt. „Mich macht das fassungslos, mich macht das ratlos“, twitterte Grünen-Politiker Danyal Bayaz neben einem Balkendiagramm, welches das 65-Prozent-Votum stimmberechtigter Türken in Deutschland für Recep Tayyip Erdogan bei der Präsidentschaftswahl vom Sonntag zeigte.

Der Minister, der selbst einen türkischen Vater hat, schien überrascht von dem klaren Ergebnis. Dabei votieren türkische Wahlberechtigte in Deutschland schon viele Jahre lang stramm konservativ. „Bei den Präsidentschaftswahlen in der Türkei 2014, 2018 und 2023 haben die Türkinnen und Türken in Deutschland immer zu circa 65 Prozent Erdogan gewählt“, erklärt der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu. In der Türkei hatte der Politiker die 50-Prozent-Hürde verfehlt.

Erdogan erzielt völlig andere Ergebnisse in den USA und Kanada

Die deutschen Ergebnisse sind noch bemerkenswerter, wenn man sie mit jenen in anderen Staaten vergleicht. „Klassische Einwanderungsländer, die Fachkräfte und Hochqualifizierte anziehen, wie die USA oder Kanada, haben bei der Wahl am Sonntag rund 80 Prozent Votum für den Oppositionskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu unter den türkischen Wahlberechtigten erreicht“, betont Yunus Ulusoy, Programmleiter beim Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung.

In Deutschland sind hingegen Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Türkei angeworben worden, die konservativ-religiösen Milieus angehörten. „Ihre politische Verortung im türkischen Parteiensystem haben sie mit nach Deutschland gebracht, hier sogar konserviert und an die nächsten Generationen zum Teil weitergegeben“, sagt der Experte. Zudem korrespondiere diese Werteorientierung mit dem Bedürfnis der Menschen, insbesondere der jüngeren Generationen, nach Anerkennung, Zugehörigkeit und Respekt, die ihnen von der Aufnahmegesellschaft nicht im gleichen Maße entgegengebracht würden wie von Erdoğan. Ulusoys Fazit: „Er gewinnt den Wettbewerb um die Herzen dieser Menschen.“

Die AKP kann in Deutschland auf Ressourcen und Einrichtungen zurückgreifen, die unter der Kontrolle der türkischen Regierung sind.

Ismail Küpeli, Politikwissenschaftler an der Universität Köln

Gökay Sofuoğlu von der Türkischen Gemeinde sieht das ähnlich. Auch er verweist darauf, dass die türkeistämmige Community stark von der Generation der Gastarbeiter geprägt ist, die mehrheitlich aus konservativen Regionen der Türkei stammte. Dass das Wahlverhalten oft in der Familie weitergegeben wird, zeigten auch Straßeninterviews des Verbands zu den Türkeiwahlen.

Sofuoğlus Beobachtung nach erfahren Türkinnen und Türken „hierzulande von Anfang an Ausgrenzung und Diskriminierung“. Erdoğan habe das für sich genutzt und biete sich als Beschützer ihrer Belange an. Auch spiele es eine Rolle, „dass die deutschen Parteien es in der Vergangenheit leider versäumt haben, Politik für die türkeistämmige Community zu machen“.

Auf organisatorische Vorteile von Erdogans Partei verweist Ismail Küpeli, Politikwissenschaftler an der Universität Köln: „Die AKP kann in Deutschland auf Ressourcen und Einrichtungen zurückgreifen, die unter der Kontrolle der türkischen Regierung sind.“ Neben den türkischen Konsulaten, die über Personal und finanzielle Mittel verfügten, würden auch die Moscheen des von der Türkei aus gesteuerten Verbandes Ditib für den Wahlkampf der AKP eingesetzt. Die fahre ihre Wähler sogar mit Bussen zu den Wahllokalen.

Indizien dafür, dass die Wahlberechtigten in Deutschland im zweiten Wahlgang anders abstimmen werden, sieht Ulusoy nicht. Angesichts der „nahezu aussichtslosen Perspektive“ für Kılıçdaroğlu werde die Opposition ohnehin „große Schwierigkeiten“ haben, ihre Anhänger noch einmal zur Stimmabgabe zu bewegen.

Zwar haben viele Erdoğan-Gegner in der Türkei angekündigt, das Land im Falle von dessen Wiederwahl zu verlassen. Angesichts von hohen Hürden für eine Einwanderung nach Deutschland, so sagt Ulusoy voraus, sei aber „nicht mit einer großen Wanderungswelle aus der Türkei zu rechnen, die die Bevölkerungszusammensetzung der Türkeistämmigen entscheidend verändern könnte“.

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