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Ziel der Attacke: Oppositionsführer Tusk

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Jaap Arriens

„Hau ab nach Berlin!“: So will Polens PiS Oppositionschef Tusk von Wahl ausschließen

Es ist eine weitere Abkehr vom Rechtsstaat: Eine Sonderkommission in Polen soll die Russlandfreundlichkeit von Oppositionspolitikern untersuchen und Belastete für öffentliche Ämter sperren.

Polens Regierungspartei PiS steht seit längerem im Verdacht, an einem System zu arbeiten, das den Machtwechsel auf Grund demokratischer Wahlen erschweren oder gar unmöglich machen soll. Diesem Ruf hat die PiS nun neue Nahrung gegeben.

Wenige Monate vor der Parlamentswahl im Herbst haben die Parteien der regierenden Koalition ein Gesetz verabschiedet, das es ihnen ermöglicht, Oppositionspolitiker wegen angeblicher Russlandfreundlichkeit für zehn Jahre von öffentlichen Ämtern auszuschließen. Eine Berufung vor ordentlichen Gerichten gegen das drohende Verbot, nach einem Wahlsieg Regierungsaufgaben zu übernehmen, ist nicht vorgesehen.

Dies bedeutet eine weitere Abkehr vom Rechtsstaat. Das aktive und das passive Wahlrecht gehören zu den Grundrechten von Bürgerinnen und Bürgern. Sie können in demokratischen Rechtsstaaten entweder gar nicht entzogen werden. Oder nur unter eng gefassten Bedingungen, über die reguläre Gerichte entscheiden.

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Gesetz ist in Kraft, nun prüft das Verfassungsgericht

Eine solche Entscheidung einer Sonderkommission zu übertragen, die von der Parlamentsmehrheit ernannt wird, also mutmaßlich mit Parteigängern besetzt ist, und gegen deren Entscheidung keine Rechtsmittel möglich sind, bedeutet den Bruch der Verfassung, kritisiert Polens Opposition.

Dennoch unterzeichnete Präsident Andrzej Duda das Gesetz am Pfingstmontag. Damit trat es in Kraft. Erst im Nachhinein will er es Polens Verfassungstribunal zur Prüfung vorlegen. Dort haben allerdings PiS-Getreue die Mehrheit.

Der Vorteil des Vorgehens: Selbst wenn das Verfassungstribunal das Gesetz irgendwann für verfassungswidrig erklären sollte, kann die Kommission die Arbeit aufnehmen und Oppositionsführer Donald Tusk und andere Oppositionsvertreter durch angebliche Erkenntnisse über deren Russlandfreundlichkeit im Wahlkampf diskreditieren.

Wir sind besorgt, dass die Sonderkommission freie und faire Wahlen beeinträchtigen wird.

Stellungnahme des US-Außenministeriums

EU-Justizkommissar Didier Reynders äußerte am Dienstag „Bedenken“, dass Bürger an der Übernahme öffentlicher Ämter gehindert und Politiker ohne richterlichen Beschluss verurteilt werden können. Das US-Außenministerium warnte Polen. Es sei „besorgt“, dass die Sonderkommission „freie und faire Wahlen beeinträchtigen“.

Wen die PiS bei dem Vorhaben im Blick hat, war bei der stürmischen Parlamentssitzung nicht zu überhören. Das Regierungslager buhte Oppositionsführer Donald Tusk aus und forderte ihn in Sprechchören auf: „Hau ab nach Berlin!“ Beobachter sprechen vom „Lex Tusk“, einem auf Tusk zielenden Gesetz.

Tusk war von 2007 bis 2014 Ministerpräsident und von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rats. Dem EU-Gremium gehören die Regierungsspitzen der EU-Staaten an. Tusk pflegte eine vertrauensvolle Beziehung mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Stimmungsmache mit dem Attentat von Smolensk

Die PiS wirft Tusk vor, er habe mit Merkel eine prorussische Politik betrieben, die Polen und Europa in Abhängigkeit von Moskau brachte, zum Beispiel bei der Energieversorgung. Außerdem deutet ihr Parteichef Jaroslaw Kaczynski immer wieder an, Tusk sei an einer Verschwörung mit dem Kreml zur Ermordung seines Zwillingsbruders Lech Kaczynski beteiligt gewesen.

Der war seit 2005 Staatspräsident und starb 2010, als die Regierungsmaschine beim Landeanflug auf Smolensk in dichtem Nebel abstürzte. Gemeinsam mit Regierungsvertretern wollte das Staatsoberhaupt Katyn besuchen. Dort hatte der sowjetische Geheimdienst 1940 mehr als 4.000 polnische Offiziere in Gefangenschaft ermorden lassen.

Das angebliche „Attentat von Smolensk“ gehört seit einem Jahrzehnt zu den Themen, mit denen die PiS ihre Wähler mobilisiert und die Opposition in die Nähe von Vaterlandsverrätern rückt. Nach ihrem Wahlsieg 2015 ließ die PiS einen entsprechenden Propagandafilm drehen, „Smolensk“.

Das Gesetz zur Einsetzung der „Staatlichen Kommission zur Untersuchung russischer Einflüsse auf die innere Sicherheit der Republik Polen in den Jahren 2007 bis 2022“ ist auf den ersten Blick parteineutral formuliert. Der Zeitraum umfasst sowohl Regierungsjahre der PiS als auch der heutigen Opposition. Die Kommission soll „für die Sicherheit Polens schädliche“ Amtshandlungen ermitteln.

In der Sejmdebatte machten Regierungsvertreter aus ihren Absichten aber keinen Hehl. Vizelandwirtschaftsminister Janusz Kowalski sagte, die Sonderkommission müsse die Rolle Tusks untersuchen. „Die Regierung Tusk war 2007 bis 2014 prorussisch“, behauptete Kowalski.

Er gehört der Partei „Souveränes Polen“ des Justizministers Zbigniew Ziobro an. Sie ist der Juniorpartner der PiS in der Regierungskoalition. Mit Tiraden gegen die EU und gegen Deutschland markiert Ziobro den starken Mann und versucht, sich als potenzieller Nachfolger Kaczynskis an der Spitze der PiS zu positionieren.

Die PiS wirft Tusk vor, er habe  als Regierungschef (2007 bis 2014) nicht genug getan, um den Bau der deutsch-russischen Pipeline Nord Stream zu verhindern. Und er habe Gas, Öl und Kohle aus Russland nach Polen importiert. Das gilt freilich auch für die PiS, die seit 2015 regiert. Sie hat die Energielieferungen aus Russland auch erst nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gekappt.

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