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Johnsons Rücktritt ist auch eine Kampansage an Parteigenossen Rishi Sunak. Dem Premier drohen bei den jetzt nötigen Nachwahlen Niederlagen.

© AFP/Yui Mok

Nach Johnsons wütendem Abgang: Britische Konservative zerfleischen sich

Boris Johnson mobilisiert seine Gefolgsleute gegen Premier Rishi Sunak. Diesem drohen nun Niederlagen bei den Nachwahlen. Es wird schmutzig.

Nach Boris Johnsons vorläufigem Rückzug aus dem Unterhaus bringen sich die unterschiedlichen Lager in der zerstrittenen Regierungspartei in Stellung.

Anhänger des gescheiterten Premierministers warnen vor einem „Bürgerkrieg der Konservativen“.

Alliierte von Regierungschef Rishi Sunak erklärten, Land und Partei würden „das Drama“ nicht vermissen. Labour-Oppositionschef Keir Starmer forderte umgehende Neuwahlen: Sunak sei „zu schwach, um gegen die Tory-Berserker vorzugehen“.

Johnson ist außer sich

Am Freitagabend war das politische London längst in Wochenendstimmung, als bekannt wurde: Johnson legt mit sofortiger Wirkung sein Mandat nieder.

Zuvor hatte der Integritätsausschuss des Parlaments dem 59-Jährigen den Entwurf eines Untersuchungsberichts zugestellt, in dem es um die Lockdown-Partys in der Downing Street geht.

Gegen ihn sei „eine Hexenjagd im Gange, um Rache für den Brexit zu nehmen und das Resultat der Volksabstimmung zu revidieren“, behauptete der 58-Jährige in seiner Rücktrittserklärung. Neben der Opposition seien daran auch Konservative beteiligt: „Ich bin fassungslos und entsetzt darüber, dass man mich zum Rückzug zwingen kann.“

Die Fakten stimmen wieder nicht

Die Aussage war faktisch ebenso falsch wie viele andere Mitteilungen des Politikers. Offenbar sind die sieben Mitglieder des Integritätsausschusses, darunter vier Torys, zu dem Schluss gekommen, Johnson habe dem Unterhaus wissentlich die Unwahrheit gesagt. Dies hätte aber nicht automatisch seinen Ausschluß zur Folge gehabt.

Vielmehr muss die gesamte Parlamentskammer, in der die Torys die Mehrheit haben, mögliche Sanktionen durchwinken. Sollte eine Suspendierung des betroffenen Mandatsträgers für mehr als zehn Tage beschlossen werden, steht es den Wahlbürgern frei, eine Nachwahl herbeizuführen. Trotz Johnsons Rückzug soll der Ausschussbericht im Lauf der Woche veröffentlicht werden.

Schon vor der Rücktrittserklärung hatte Johnson am Freitag die Schlagzeilen dominiert. Nach langem Zögern und mehreren Prüfungsrunden veröffentlichte Downing Street nämlich die „Rücktritts-Ehrungen“ des im September aus dem Amt Geschiedenen. Politischer Tradition auf der Insel zufolge hat ein zurückgetretener Regierungschef das Recht, langjährigen Vertrauten einen Orden, den Ritterschlag oder einen Sitz im Oberhaus zuzuschanzen.

Auch Nadine Dorries trat am Freitag als Abgeordnete zurück, weil sie nicht, wie von Johnson vorgeschlagen, geadelt wurde.
Auch Nadine Dorries trat am Freitag als Abgeordnete zurück, weil sie nicht, wie von Johnson vorgeschlagen, geadelt wurde.

© dpa/Steve Parsons

Seit Monaten konzentrierte sich die Diskussion darüber auf die Namen dreier Tory-Abgeordneter, die durch eine Erhebung in den Adelsstand und Mitgliedschaft im Oberhaus geehrt werden sollten. Die Kommission verweigerte dem Trio die Adelung, weil amtierende Politiker normalerweise erst aus dem Amt ausscheiden, bevor die zuständige Berufungskommission ihre Namen erwägen kann.

Ex-Kulturministerin Nadine Dorries gab daraufhin am Freitagnachmittag wütend ihr Mandat auf. Nach Johnsons eigenem Rückzug folgte am Samstag auch der seines Vertrauten Nigel Adams.

Klima zwischen Sunak und Johnson vergiftet

Wie vergiftet die Beziehungen zwischen Sunak und Johnson und deren politischen Lagern sind, zeigt dieser Streit deutlich. Dabei geht es insbesondere um ein Gespräch zu den umstrittenen Ehrungen, das beide völlig unterschiedlich wiedergeben.  „Darüber will ich nicht reden“, habe Sunak gesagt – so geht es aus der Gesprächsnotiz hervor, die ein Mitglied des Downing-Street-Teams verfasst hat. Johnson insistierte und warb besonders für die drei Unterhaus-Abgeordnete, die er in die andere Parlamentskammer befördern wollte.

Offenbar glaubte er, er habe das Gespräch mit einer Zusage verlassen. So kolportieren es nun seine Anhänger und bezichtigen Sunak der Doppelzüngigkeit, ja der „ehrenlosen Schwindelei“. Hingegen beteuert Downing Street gestützt auf das Protokoll, es habe keine Versprechen gegeben: „Alle anderslautenden Behauptungen sind kategorisch unwahr.“

62
Prozent der Briten halten Johnsons Rücktritt für richtig.

Weiter scheint Sunak nicht gehen zu wollen. Dabei hat er bei den Wählern derzeit wohl die Oberhand. Laut einer Blitzumfrage der Firma YouGov halten 62 Prozent der Briten, darunter eine Mehrheit der Tory-Wähler, Johnsons Rücktritt für geboten. „Für die Konservativen wird es Zeit, Johnson hinter sich zu lassen“, resümiert Paul Goodman, Chefredakteur der einflußreichen Website Conservative Home.

Hingegen warnt der von Johnson mit einem Ritterschlag geadelte Ex-Minister Jacob Rees-Mogg seine Partei davor, den grollenden Johnson links liegen zu lassen.

Sollte der Parteivorsitz vakant werden – eine höfliche Umschreibung für die erwartete krachende Wahlniederlage, nach der Sunak zurücktreten müsste -, habe Johnson „die pole position“, auf die Nachfolge.

Die drei durch Rücktritte nötigen Nachwahlen sollen noch vor der Sommerpause über die Bühne gehen. Zumindest in Johnsons Wahlkreis Uxbridge in Westlondon gilt der Mandatsverlust an die Opposition als ausgemacht.

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