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Ex-Präsident Donald Trump in East Palestine, Ohio.

© Getty Images via AFP/Michael Swensen

Update

Bewohner nach Zugunglück verunsichert: In Ohio findet Trump die ideale Spielfläche für seine Kampagne

Nach dem Zugunglück in East Palestine besucht der Ex-Präsident die Bewohner der Kleinstadt. Joe Biden und den Demokraten sollte das nicht egal sein.

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Was haben Kiew und East Palestine gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. In den Augen der Republikaner eignen sich die beiden Städte dieser Tage aber hervorragend, um Biden „Versagen“ und „Ignoranz“ gegenüber heimischen Sorgen vorzuwerfen.

Während der amtierende US-Präsident seine Reise am Mittwoch damit beendete, dass er den osteuropäischen Nato-Ländern in Warschau die andauernde amerikanische Unterstützung gegen den russischen Aggressor versicherte, besuchte sein Vorgänger Donald Trump die Kleinstadt im Osten des Bundesstaats Ohio.

Dort war am 3. Februar ein Zug der Bahngesellschaft Norfolk Southern entgleist. Seitdem ist nichts mehr, wie es einmal war. Und der Name East Palestine ist inzwischen jedem in Washington geläufig. Die rund 50 Waggons hatten Chemikalien geladen, darunter Vinylchlorid. Einige der Tankwagen gerieten in Brand, die Behörden befürchteten Explosionen.

Grund war laut Behördenangaben ein überhitztes Radlager. In einem vorläufigen Untersuchungsbericht, der Donnerstag veröffentlicht wurde, beschrieb die US-Verkehrssicherheitsbehörde den Hergang des Unfalls.

Demnach haben Detektoren am Gleisrand entlang der Strecke einen starken Temperaturanstieg bei einem der Radlager festgestellt. Innerhalb von knapp 50 Kilometern sei die Temperatur um fast 120 Grad Celsius angestiegen. Das System habe eine Warnung ausgelöst, woraufhin die Besatzung den Zug abgebremst habe.

Während des Bremsvorganges sei zudem eine automatische Notbremsung aktiviert worden. Nachdem der Zug zum Stillstand gekommen war, sah die Besatzung dem Bericht zufolge Feuer und Rauch. Auf einem Überwachungsvideo, das vor dem Unglück aufgenommen wurde, sind glühende Räder an einem der Waggons zu sehen.

„Tschernobyl in Ohio“

Zuerst wurden die Anwohner im Umkreis von einer Meile evakuiert, dann wurde das Vinylchlorid kontrolliert verbrannt, um eine Explosion zu verhindern. Dadurch wurden Giftstoffe wie Phosgen und Chlorwasserstoff freigesetzt. In den sozialen Medien war und ist bis heute zu sehen, wie danach schwarze Rauchwolken von den brennenden Waggons aufsteigen – es sind verheerende, Angst einflößende Bilder.

„Vier Wasserläufe auf einer Länge von 7,5 Meilen sind kontaminiert“

Mary Mertz, Direktorin des Umweltamts von Ohio

Schwarze Schwaden steigen inzwischen nicht mehr auf. Aber seitdem wird darüber spekuliert, wie gefährlich der Vorfall ist. Den Verantwortlichen auf allen Ebenen wird wahlweise vorgeworfen, die Situation durch Deregulierung mitverantwortet, die Lage erst unterschätzt und dann heruntergespielt zu haben, beziehungsweise die Menschen mit ihren Sorgen allein zu lassen.

Anwohner klagten über Kopf- und Halsschmerzen sowie brennende Augen. Tote Fische trieben in den Gewässern. Auch Haustiere und Hühner sollen verendet sein, was allerdings bisher nicht bestätigt ist. Rechte Medien sprangen auf den Fall auf, im Sender Fox News war von einem „Tschernobyl in Ohio“ die Rede. Dramatischer geht es kaum.

Tiefe Vertrauenskrise

Die Lage konnte sich auch deshalb hochschaukeln, weil viele Tage vergingen, bis die Behörden zugaben, dass tatsächlich Giftstoffe in Wasser und Boden nachgewiesen wurden. „Vier Wasserläufe auf einer Länge von 7,5 Meilen sind kontaminiert“, sagte die Direktorin des Umweltamts von Ohio, Mary Mertz, knapp zwei Wochen nach dem Unglück bei einer Pressekonferenz.

Sie sprach von rund 3500 toten Fischen in diesem Gebiet. Vinylchlorid sei aber im Wasser nicht gefunden worden, und es bestehe keine Gefahr für die Menschen: Die Luft einzuatmen, sei unbedenklich.

Ein paar der rund 50 Waggons, die entgleisten, hatten Chemikalien geladen, darunter krebserregendes Vinylchlorid.

© REUTERS/NTSBGov

Glauben wollten das viele Menschen vor Ort nicht. East Palestine befindet sich in einer tiefen Vertrauenskrise. Die strahlt inzwischen national aus. Viele der rund 5000 Einwohner sind empört über die schleppende Reaktion ihres Bundesstaats Ohio und der Norfolk Southern Railway.

Die Bahngesellschaft hatte sich noch in der vergangenen Woche geweigert, an einer lokalen Versammlung teilzunehmen. Am Mittwochabend brachte CNN ein „Townhall“-Spezial aus der Kleinstadt.

Die beiden Senatoren von Ohio, J. D. Vance (Republikaner) und Sherrod Brown (Demokrat), schrieben in ungewöhnlicher Überparteilichkeit einen gemeinsamen Brief an die Umweltschutzbehörde EPA. Darin forderten sie, dass die Luft auf krebserregende Dioxine untersucht wird.

In den sozialen Netzwerken werden die großen, schwarzen Rauchwolken immer wieder gezeigt.

© AFP/DUSTIN FRANZ

„Wir sind besorgt, dass das Verbrennen großer Mengen Vinylchlorid zur Bildung von Dioxinen geführt haben könnte, die sich möglicherweise in ganz East Palestine und vielleicht noch in einem viel größeren Umkreis ausgebreitet haben“, heißt es in dem Schreiben.

Trump handelt mit Ambitionen auf 2024

Diese toxische Ausgangslage ist eine nahezu ideale Spielfläche für Trump. Bei seinem Besuch in East Palestine sprach der Ex-Präsident mit Ambitionen auf 2024 nach Angaben seiner Kampagne mit Einwohnern des Ortes und überbrachte Hilfsgüter.

Es wird zwar öffentlich darauf hingewiesen, dass in Trumps Amtszeit Sicherheitsauflagen im Bahnverkehr und explizit auch für Gefahrgüterzüge gelockert wurden. Auch habe Trump ausgerechnet eine Frau zur Chefin der Umweltbehörde EPA gemacht, die aus der Chemieindustrie stammte. 

„Politico“ schrieb von einem durchschaubaren „politischen Stunt“, der der Biden-Regierung etwas Luft verschaffen werde. Aber bei Trump muss immer damit gerechnet werden, dass er Kritik einfach an sich abprallen lässt. Beziehungsweise sie in eine andere Richtung lenkt.

Wir sind besorgt, dass das Verbrennen großer Mengen Vinylchlorid zur Bildung von Dioxinen geführt haben könnte.

J. D. Vance (Republikaner) und Sherrod Brown (Demokrat), Senatoren von Ohio

Besonders freuen dürfte Trump, dass er vor jedem Mitglied der amtierenden Bundesregierung da war. Zwar hat Biden dem Gouverneur von Ohio, Mike DeWine, und dem Gouverneur des angrenzenden Bundesstaats Pennsylvania, Josh Shapiro, Unterstützung angeboten.

Die Katastrophenschutzbehörde FEMA habe sich mit dem staatlichen Notfallzentrum und anderen Partnern abgestimmt, erklärte das Weiße Haus. Aber eigentlich sollte jeder wissen: Es macht einen Unterschied, ob ein Regierungschef an einem Katastrophenort auftaucht oder nicht. George W. Bush, zum Beispiel, hatte sich in seiner Amtszeit von seinem Zögern nach Hurrikan „Katrina“ in New Orleans nicht mehr wirklich erholt.

Verkehrsminister Buttigieg kommt – einen Tag nach Trump

Nun war Biden mit gutem Grund andernorts gefordert. Der Jahrestag des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine war Anlass genug, um nach Europa zu fliegen – auch wenn manche Republikaner ihm absurderweise vorwerfen, er habe Kiew East Palestine vorgezogen. Auch der Bürgermeister von East Palestine beklagte gegenüber Fox News, dass Biden nicht komme. Das ist eher nachvollziehbar.

Die weiße Arbeiterklasse ist eine wichtige Wählergruppe, die Trump bei seiner Präsidentschaftswahl 2016 für sich gewann.

© REUTERS/ALAN FREED

Aber Biden hat bekanntlich einen Verkehrsminister mit politischem Talent – und viel Ehrgeiz. Nur: Der ehemalige (und womöglich künftige) Präsidentschaftsbewerber Pete Buttigieg tut sich angesichts dieser Katastrophe schwer.

Auf CBS News erklärte er gerade noch, er verstehe nicht, was Trump vor Ort erreichen wolle, nur um dann am Mittwoch durchstechen zu lassen, dass er am Donnerstag, also einen Tag später, nach East Palestine fahren wolle. 20 Tage nach der Katastrophe. 

Aus der Republikanischen Partei kommen Forderungen, Buttigieg solle zurücktreten. Dem wird der kaum Folge leisten. Aber manchmal geht von vermeintlich kleinen, abgelegenen Orten enorme politische Sprengkraft aus.

 3500
tote Fische wurden nach dem Zugunglück gezählt.

Als Trump 2016 die Präsidentschaftswahl gewann, waren die meisten Beobachter überrascht über den Sieg des Reality-TV-Stars. Bei der Suche nach den Ursachen ging der Blick aber schnell ins amerikanische „Heartland“, in den seit Jahren unter dem Strukturwandel leidenden „Rust Belt“.

Die größte und älteste Industrieregion der USA fühlte sich angesichts der wegbrechenden Jobs und Zukunftsaussichten von der Welt und insbesondere von Washington vergessen. Der abwertende Begriff „Flyover country“ – Staaten, die man am besten per Flugzeug überquert, ohne haltzumachen – trieb die Menschen in die Arme von Trump. Der versprach, ihre Sorgen ernst zu nehmen.

Die Demokraten verloren diese bisher treue Wählergruppe weißer Arbeiter – und bezahlten das teuer. Trump gewann in Pennsylvania, Michigan, Wisconsin und Ohio, weil er die Gewerkschaften ansprach, viele neue Jobs und ein Comeback der alten Industrieregionen in Aussicht stellte.

Das Zugunglück führte zu enormen Wasserverschmutzungen.

© Getty Images via AFP/Michael Swensen

Auf den Aufschwung warten die Menschen zwar bis heute. Aber sie fühlten sich beachtet. Trumps Gegenkandidatin Hillary Clinton tauchte in der heißen Wahlkampf-Phase kein einziges Mal in Wisconsin auf. Das gilt als einer ihrer schwersten Fehler. Trumps Vorsprung in Ohio, wo die Menschen 2008 und 2012 noch Barack Obama gewählt hatten, betrug fast neun Prozentpunkte.

In Michigan, Pennsylvania und Wisconsin gewann Biden 2020 einen Teil dieser Stimmen für die Demokraten zurück. Nicht in Ohio. Insgesamt ist seine Partei mit ihren Wählern in den Städten aber nach links gerückt. Und sie konzentriert sich bei ihren Kampagnen auf die Wechselwähler in stadtnahen Gebieten, die von Trump genug haben.

Darin liegt eine Gefahr: Zwar heißt es inzwischen immer wieder, dass Ohio kein Swing State mehr sei, sondern verlässlich in republikanischer Hand. Aber wenn sich das Narrativ festigt, dass den Demokraten die Sorgen der Menschen in ländlichen Gebieten immer weniger bedeuten, kann sich das auch weit über Ohio hinaus auswirken.

Der demokratische Senator Sherrod Brown muss 2024 seinen Sitz verteidigen. Angesichts der extrem knappen Mehrheit der Demokraten im US-Senat wird das eines der entscheidenden Rennen werden. (mit dpa)

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