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Waffen sind im Bürgerkriegsland Libyen allgegenwärtig.

© AFP/MAHMUD TURKIA

Russlands Teilabzug aus Libyen: Gibt es einen Ausweg aus der Dauerkrise?

Vor einem Jahr wurden die Wahlen in Libyen abgesagt. Das hat das Land weiter in die Anarchie abrutschen lassen. Doch nun könnte gerade der Ukrainekrieg zu mehr Stabilität führen.

Abdoulaye Bathily ist erst wenige Monate im Amt, doch er ist bereits frustriert. Als UN-Beauftragter für Libyen soll der senegalesische Diplomat helfen, den Dauerkonflikt in dem nordafrikanischen Bürgerkriegsland beizulegen.

Aber Bathily kommt nicht voran. Er habe den Eindruck, dass einige Akteure in Libyen die Bemühungen um Wahlen „aktiv behindern“, sagte Bathily jüngst vor dem UN-Sicherheitsrat.

Eigentlich hätten die Wahlen am 24. Dezember 2021 stattfinden sollen, doch sie wurden wenige Tage vor der Abstimmung abgesagt. Statt mehr Stabilität und Einheit hat Libyen heute zwei rivalisierende Ministerpräsidenten; die Flüchtlingszahlen steigen. Nun kommt neue Bewegung in den Dauerkonflikt, weil Russland sein Engagement in Libyen wegen des Ukraine-Krieges zurückfährt.

Milizen und ihre ausländischen Unterstützer haben alle Bemühungen um Frieden vereitelt

Libyen hat seit dem Tod von Diktator Muammar Gaddafi vor elf Jahren keine Regierung mehr, die das ganze Gebiet des ölreichsten Staats in Afrika kontrolliert. Rivalisierende Regierungen und Milizen im Ost- und Westteil des Landes mit ihren ausländischen Unterstützern haben bisher alle Friedensbemühungen vereitelt.

Libysche Spitzenpolitiker profitieren von der Misere, denn sie wollen vor allem ihre Machtpositionen und Pfründe verteidigen. Obwohl seit zwei Jahren ein Waffenstillstand gilt, gibt es immer wieder Gewaltausbrüche.

Der vom ost-libyschen Parlament zum Ministerpräsidenten gekürte Fathi Bashaga unternahm in den vergangenen Monaten zwei Versuche, in die Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes einzurücken.

Über Libyen versuchen Tausende Flüchtlinge, nach Europa zu gelangen.
Über Libyen versuchen Tausende Flüchtlinge, nach Europa zu gelangen.

© Reuters/Ayman al Sahili

Beide Angriffe scheiterten: Bashaga wurde von Truppen unter dem Befehl des Premiers der international anerkannten Übergangsregierung, Abdulhamid Dbeibah, zurückgeschlagen. Mehr als 30 Menschen starben.

Wegen des Konflikts ging zwischenzeitlich die Ölförderung stark zurück, was den Staat rund 60 Millionen Dollar am Tag kostete. Außerdem treibt der Ukraine-Krieg die Brotpreise hoch, weil Libyen von Importen aus dem Schwarzmeer-Raum abhängt.

48.000
Flüchtlinge reisten laut UN-Angaben seit Jahresbeginn per Boot aus Libyen nach Italien

Der politische Prozess steckt in einer Sackgasse. Einen neuen Wahltermin gibt es nicht. Bathily, seit September im Amt, hat bisher keinen Ausweg gefunden. Experten plädieren deshalb für neue Ansätze bei der Suche nach einem Ausweg aus der Dauerkrise.

Die Vereinten Nationen hätten es nicht geschafft, die libyschen und ausländischen Akteure zu zügeln und zugleich die Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft für eine Lösung zu gewinnen, sagt Nebahat Tanriverdi von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Das von den UN verfolgte Modell der Machtteilung zwischen verschiedenen Gruppen funktioniere in Libyen nicht.

Leider gibt es kein Anzeichen für eine mögliche Einigung auf Wahlen in nächster Zeit.

Josep Borrell, EU-Außenbeauftragter

Emadeddin Badi von der Denkfabrik Atlantic Council rät dem neuen UN-Gesandten deshalb, die politischen Eliten in Libyen zu umgehen. Bathily solle versuchen, die ausländischen Unterstützer der libyschen Kontrahenten einzubinden, schreibt Badi in einer Analyse.

Für Moskau verliert das nordafrikanische Land an Bedeutung

Ministerpräsident Dbeibah wird von der Türkei unterstützt, während Russland und Ägypten auf der Seite von Gegen-Premier Bashaga und dem ost-libyschen General Chalifa Haftar stehen. Der Ukraine-Krieg könnte nun neue Spielräume schaffen. Für Russland hat Libyen wegen des eigenen Krieges an Bedeutung verloren.

General Haftar gehört zu den Machthabern in Libyen.
General Haftar gehört zu den Machthabern in Libyen.

© AFP/Abdullah Doma

Seit Kriegsausbruch soll der Kreml Hunderte Kämpfer der Söldner-Firma Wagner aus Libyen abgezogen und in die Ukraine geschickt haben; laut einigen Berichten sind von 2200 Söldnern nur 900 in Libyen geblieben.

Ganz aufgeben will Russland in Libyen aber nicht. Die Reduzierung der Wagner-Truppen und die Konzentration auf die Ukraine hätten die Rolle Moskaus in Libyen geschwächt, ohne die Machtverhältnisse in dem Land grundsätzlich zu verändern, sagt SWP-Expertin Tanriverdi.

Werden die Türkei und Ägypten eine konstruktive Rolle spielen?

Trotzdem ist eine neue Dynamik entstanden. Akteure wie die Türkei und Ägypten versuchen, den Teilabzug Russlands für sich zu nutzen. Gleichzeitig bemühen sich die Regierungen in Ankara und Kairo, die seit Jahren anhaltende Krise in ihren Beziehungen zu überwinden.

Tanriverdi sieht darin einen Hoffnungsschimmer für Libyen: Sollten sich Türkei und Ägypten auf eine konstruktivere Politik für das Land einigen, könnte das positive Auswirkungen haben.

Noch jedoch ist es nicht so weit. Derzeit gebe es „leider kein Anzeichen für eine mögliche Einigung auf Wahlen in nächster Zeit“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vor einigen Tagen. Für die EU ist die Lage in Libyen wichtig, weil aus dem Land immer mehr Flüchtlinge nach Europa kommen.

Seit Jahresbeginn trafen laut UN-Angaben rund 48.000 Flüchtlinge per Boot aus Libyen in italienischen Häfen ein – das sind schon jetzt anderthalbmal so viele wie im gesamten Jahr 2021.

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