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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (links)  und der Bürgermeister der Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko, sind politische Rivalen. 

© Imago Images/Action Press/Ukrinfo/Sipa/Volodymyr Tarasov

Selenskyj vs. Klitschko: Nach drei Todesfällen flammt der Bunker-Streit wieder auf

In der Ukraine wird über fehlende oder nicht zugängliche Schutzräume diskutiert. Nach einer Tragödie in Kiew ist der Präsident erzürnt. Will er den Bürgermeister entmachten?

Sie waren noch nie Freunde – der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der Bürgermeister der Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gab es aber quasi ein unausgesprochenes Stillhalteabkommen: Öffentliche Kritik am politischen Rivalen wurde weitgehend vermieden, um den Zusammenhalt des Landes in dieser Krisenzeit nicht zu gefährden.

Doch jetzt sind die Differenzen offen zutage getreten. Hintergrund ist ein erneuter Streit um die Schutzbunker in Kiew. In der Nacht zum 1. Juni fielen Trümmer einer russischen Rakete auf eine Poliklinik, in der sich ein Luftschutzkeller befand. Ein neunjähriges Kind und zwei junge Frauen, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Nähe des Gebäudes aufhielten, wurden getötet, weil die Türen des Bunkers geschlossen waren.

„Dieses Ausmaß an Nachlässigkeit in der Stadt kann nicht durch irgendwelche Rechtfertigungen gedeckt werden“, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft am Freitag. Er wies die Regierung an, sich um eine Besserung der Lage zu kümmern. Nach allem, was zuvor passiert sei in Kiew, sei dieser Zustand untragbar.

Es könnte ein Knockout sein.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Selenskyj hatte zuvor bereits gefordert, dass eine ausreichende Zahl an Bunkern überall zugänglich sein müsse. Es sei die Pflicht der Kommunen, dafür zu sorgen, dass die Schutzräume rund um die Uhr geöffnet seien.

Selenskyj drohte den Verantwortlichen für die Tragödie mit schweren Strafen. Auch wenn er keine konkreten Namen nannte, spielte er angesichts der Boxvergangenheit des Bürgermeisters eindeutig auf Klitschko an. „Es könnte ein Knockout sein“, sagte der Präsident.

Der ukrainischen Verfassung zufolge kann der Präsident den gewählten Bürgermeister Klitschko nicht aus dem Amt werfen. Mit einer Mehrheit im Parlament scheint eine Änderung des geltenden Kriegsrechts jedoch eine realistische Aufgabe zu sein.

„Die Zentralregierung will die Kommunalverwaltung in Kiew ausschalten – entgegen der Verfassung – und Klitschko entlassen. Damit will sie ihre eigenen politischen Probleme lösen, indem sie die Tragödie und die Todesfälle ausnutzt“, erklärte der politische Analyst Oleksij Holobutskyj.

Klitschko, der zuvor bereits die Öffnung der Bunker gefordert hatte, verteidigte sich gegen die Vorwürfe. Er erinnerte daran, dass die von ihm vertretenen städtischen Behörden seit Beginn des Krieges rund 300 Millionen Euro für den Bau von Luftschutzbunkern in den Haushalt zur Verfügung gestellt hätten.

Der Bürgermeister verwies darauf, dass allerdings die Leiter der Bezirksverwaltungen, die auf Vorschlag der Regierung vom Präsidenten ernannt werden, über diese Mittel verfügten – und er keine Handhabe gegenüber diesen Behördenleitern habe.

„Von den zehn Bezirksleitern sind neun Vertreter der Präsidentenpartei Diener des Volkes“, sagte Klitschko. Auch der Leiter der Militärverwaltung in Kiew, die für die Dauer des Kriegsrechts für den Betrieb der Zivilschutzeinrichtungen verantwortlich ist, sei vom Büro des Präsidenten ernannt worden. „So sieht es mit der Verantwortung aus“, erklärte Klitschko.

Viele Einwohner der Hauptstadt haben längst ihre eigenen Konsequenzen aus den fehlenden oder maroden Bunkern gezogen: Sie bleiben immer häufiger zu Hause, wenn die Sirenen heulen – zumal unsicher ist, ob sie bei einem Raketenangriff den nächsten Schutzraum überhaupt rechtzeitig erreichen.

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