zum Hauptinhalt
Mahnende Worte an Premier Rishi Sunak von Parteikollegen: „Die Regierung muss rasch Neuverhandlungen aufnehmen.“

© REUTERS / Henry Nicholls

Streik in Großbritannien geht weiter: Muss Premier Sunak einlenken?

Einen bereits ausgehandelten Deal lehnte die Gewerkschaft am Wochenende überraschend ab. Der Druck auf Premier Rishi Sunak steigt.

Der Arbeitskampf im britischen Gesundheitswesen NHS geht in eine neue Runde. Am Wochenende kündigte die Gewerkschaft RCN des Pflegepersonals in England einen neuen zweitägigen Ausstand an; anders als bisher sind diesmal auch Intensiv- und Krebsstationen betroffen.

Auch die Krankenhausärzte, deren viertägiger Streik am Samstag früh zu Ende ging, planen weitere Eskalationsschritte im Streit mit der konservativen Regierung von Premier Rishi Sunak. Ihre Mitglieder seien mit einer „hässlichen Situation konfrontiert“, sagte Saffron Cordery vom Verband der NHS-Arbeitgeber: „Gewerkschaften und Regierung sollten dringend an den Verhandlungstisch zurückkehren.“

Im Pflegesektor hatten Gesundheitsminister Steve Barclay und mehrere Gewerkschaften, angeführt von der RCN, im März eine Vereinbarung getroffen. Vorgesehen waren fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt vom neuen Steuerjahr an, das am 5. April begonnen hat.

480.000
Mitglieder hat die Pflegegewerkschaft RCN.

Zusätzlich sollte es als Ausgleichszahlung für die zweistellige Inflationsrate der vergangenen Monate eine Einmalzahlung geben; für niedrige Lohngruppen hätte dies das Jahresgehalt um bis zu acht Prozent aufgebessert. RCN-Chefin Pat Cullen empfahl ihren 480.000 Mitgliedern die Annahme des Deals mit der Begründung, man habe „den Punkt erreicht, wo man weiß: Mehr Zugeständnisse gibt es nicht von der anderen Seite“.

Mehr Zugeständnisse gibt es nicht von der anderen Seite.

 RCN-Chefin Pat Cullen empfiehlt den Mitgliedern, den Deal anzunehmen

Eine erstaunliche Einsicht, war die RCN doch zunächst mit der Forderung von Inflationsrate plus fünf Prozent in den Arbeitskampf gezogen. Im vergangenen Herbst hätte das einer Lohnerhöhung von 19 Prozent entsprochen. Weil ihre Mitglieder in der Urabstimmung mit 54:46 Prozent bei einer Beteiligung von 61 Prozent gegen den Deal stimmten, müssen Cullen und ihr Team nun eben doch weitere Zugeständnisse vom Gesundheitsminister fordern.

Erschwert wird ihre Verhandlungsposition durch die Tatsache, dass die Mitglieder der bedeutenden, im Gesundheitssektor aber weniger stark vertretenen Gewerkschaft Unison der Vereinbarung mit 74:26 Prozent die Zustimmung erteilten. Ihre Mitglieder hätten sich natürlich mehr gewünscht, nun aber „für die Sicherheit des zusätzlichen Geldes im Portemonnaie“ gestimmt, sagte Sara Gorton von Unison.

Der neue 48-Stunden-Streik soll am letzten Apriltag beginnen und den Maifeiertag einschließen. Zur selben Zeit wollen auch Lehrer und Uni-Dozenten ebenso wie Bedienstete von Behörden und Museen erneut die Arbeit niederlegen.

Die RCN-Führung stand nicht nur unter dem Druck ihrer Mitglieder; am 2. Mai endet auch die in einer Urabstimmung erwirkte Zustimmung zu Streikaktionen. Sie werde umgehend, wie es die britische Gesetzgebung vorschreibt, ein neues Mandat für weitere sechs Monate von ihren Mitgliedern erwirken, kündigte Cullen der BBC an.

Mögliche Radikalisierung der Gewerkschaft

Möglicherweise steht der bisher als eher zahm geltenden RCN eine Radikalisierung ins Haus, wie sie die Ärztegewerkschaft BMA in den vergangenen Jahren bereits durchlaufen hat. Dort haben nach einem verlorenen Arbeitskampf 2016 seither in der Klinikärzte-Sektion jüngere Kräfte die Macht übernommen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Weil man im vergangenen Jahrzehnt erhebliche Einbußen des Realeinkommens habe hinnehmen müssen, liegt nun die Forderung von 35 Prozent mehr Gehalt auf dem Tisch. „Unvernünftig“, erwidert die Regierung und verweigert jedes Gespräch.

Der schwere Rückschlag in den Pflegepersonal-Verhandlungen fällt freilich auch auf Premier Sunak und seinen Minister Barclay zurück. Der Regierungschef hat in den vergangenen Monaten mit betont ruhiger Hand manche Erfolge erzielt, nicht zuletzt in den Verhandlungen mit der EU über den künftigen Status von Nordirland.

Gewerkschaften und Regierung sollten dringend an den Verhandlungstisch zurückkehren.

Saffron Cordery, Verband der NHS-Arbeitgeber

Die Beendigung oder mindestens starke Reduzierung des Arbeitskampfes im NHS sollte ihm weiteren Auftrieb geben vor den schwierigen Kommunalwahlen Anfang Mai, bei denen den Konservativen Tausende von Mandaten verloren gehen dürften.

Nicht zuletzt deshalb mahnen prominente Parteifreunde zum Einlenken. Gewiss hätten die RCN-Mitglieder ihre Gewerkschaft „geschwächt aufs Feld zurückgeschickt“, analysiert Steve Brine, Chef des Gesundheitsausschusses im Unterhaus. Die Regierung solle aber rasch Neuverhandlungen aufnehmen.

Brines konservativer Fraktionskollege Daniel Poulter, der in Parlamentspausen immer wieder in seinen Beruf als Arzt zurückkehrt, ging im „Guardian“ weiter: Premier Sunak, Schatzkanzler Hunt und Gesundheitsminister Barclay sollten das bisherige Angebot aufrechterhalten und noch etwas obendrauf legen, schließlich habe der abgelehnte Deal nicht das Niveau von Lohnabschlüssen im Privatsektor erlangt.

Dort wurden in der jüngsten Verhandlungsrunde durchschnittlich Erhöhungen von 6,6 Prozent erzielt.

Leidtragende sind wie immer die Patienten. Beim dreitägigen Streik der Krankenhausärzte im März mussten rund 175.000 Eingriffe verschoben werden, der viertägige Ausstand von vergangener Woche dürfte zuverlässigen Schätzungen zufolge weitere 350.000 fachärztliche Behandlungen und kleine Operationen auf die lange Bank geschoben haben. Dabei umfasste die NHS-Warteliste schon zuvor rund sieben Millionen Patienten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false