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Ein Rekrutierungsbüro in der Ukraine

© Reuters/Valentyn Ogirenko

Ukraine-Invasion, Tag 805: „Da Vinci-Wölfe“ bieten neue Wege zur Rekrutierung – ganz ohne Zwang

EU will russische Milliarden für Ukraine-Hilfen nutzen, Video zeigt russischen „Schildkröten-Panzer“ mit bizarrem Drohnenschutz. Der Überblick am Abend.

Die Versuche der ukrainischen Regierung, neue Soldaten für die Verteidigung gegen den russischen Angriff zu generieren, werden immer eindringlicher. Kiew hat das Einzugsalter auf 25 Jahre abgesenkt und Ukrainer im Ausland dazu aufgefordert, ihre Pässe zu aktualisieren – in der Ukraine, wo die Männer dann direkt eingezogen werden könnten. Doch ist Zwang die einzige Chance? Eine Freiwilligeneinheit beweist das Gegenteil, wie das „Wall Street Journal“ berichtet.

Die „Da Vinci-Wölfe“ suchen mit Plakatwänden und Instagram-Posts nach Verstärkung – mit Erfolg. Warum das so ist, dafür hat einer der Kommandeure des Bataillons, Serhiy Filimonov, eine einfache Erklärung: „Es gibt viele Leute, die kämpfen wollen. Doch sie wollen ihre Einheit und ihren Kommandeur selbst wählen können“, sagt er dem „Wall Street Journal“.

Die „Da Vinci-Wölfe“ sind, nicht nur wegen ihrer öffentlichen Suchaufrufe, dem Bericht zufolge eines der bekanntesten Bataillone – ihm eilt demnach der Ruf voraus, effektiv und gut organisiert zu sein sowie motivierte Soldaten und Kommandeure zu haben. Der Name sei auf den Gründer des Bataillons, Dmytro „Da Vinci“ Kotsyubailo zurückzuführen, berichtet das „Wall Street Journal“. Er soll 2023 bei der Verteidigung der ostukrainischen Stadt Bachmut gestorben sein.

Der Instagram-Kanal hat 50.000 Follower, dort verkauft das Bataillon Merchandise und postet motivierende Videos und Fotos. Nach eigener Aussage erhielten die Kommandeure seit ihrem letzten großen Aufruf im Februar rund 1000 Bewerbungen – viel mehr als sie Plätze haben.

„Niemand ist hier unter Zwang hergekommen, alle sprechen auf Augenhöhe. Das sind Menschen, die für unser Land kämpfen wollen“, sagt Dmytro Zharchenko dem „Wall Street Journal“. Er ist ein rekrutierter Soldat, der zuvor in der Marketingabteilung eines europäischen Unternehmens arbeitete.

Ukrainer, die für die „Da Vinci-Wölfe“ kämpfen wollen, müssen dem Bericht zufolge online ein Formular ausfüllen, bevor sie ein Rekrutierungsbüro in Kiew oder Lwiw besuchen können. Solche angehenden Soldaten, die für geeignet gehalten werden, würden dann zu einem fünftägigen Einführungskurs geschickt. Dieser beinhalte Schießtraining, medizinische Tests und Unterricht zur ukrainischen Militärhistorie. Fast alle Teilnehmer unterschreiben nach Angaben des Bataillons danach Verträge und nehmen das Training für den Kriegseinsatz auf.

Dabei suchen die „Da Vinci-Wölfe“ nicht nur Soldaten für die Front. „Jeder kann uns helfen. Es muss nicht zwingend eine Kampfrolle sein, sondern auch eine im Management oder in der Logistik“, sagt einer der Ausbilder dem „Wall Street Journal“. Nach seiner Aussage sind die rekrutierten Soldaten des Bataillons jünger als die regulären ukrainischen Truppen mit einem Altersdurchschnitt von 40 Jahren.

„Ich will bei den Besten dabei sein“, sagt Yevhen Pliasov, der sich zum Scharfschützen ausbilden lässt, dem „Wall Street Journal“. Er habe lange gewartet und sich erst dazu entschieden, als sein bester Freund im Krieg getötet wurde. Seine Familie unterstütze seine Entscheidung, nun zu kämpfen – auch wenn seine sechs und sieben Jahre alten Kinder nicht verstehen würden, was das bedeutet. Seine Motivation erklärt Pliasov mit einem Satz: „Ich will dem Ganzen für sie ein Ende setzen.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick

  • Zum Jahrestag des Weltkriegsendes 1945 hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den aktuellen Abwehrkampf gegen Russland in die Tradition des Sieges über Hitler-Deutschland gestellt. Der Staatschef besuchte am Mittwoch den Ort Jahidne im nordukrainischen Gebiet Tschernihiw, den Schauplatz eines mutmaßlichen russischen Kriegsverbrechens 2022.
  • Die EU will milliardenschwere Zinserträge aus eingefrorenem Vermögen der russischen Zentralbank zur Finanzierung von Militärhilfen für die Ukraine nutzen. Vertreter der Mitgliedstaaten verständigten sich am Mittwoch in Brüssel nach wochenlangen Verhandlungen auf einen Plan dafür, wie die derzeitige belgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Mehr dazu im Newsblog.
  • Die indische Polizei hat vier Personen verhaftet, die Landsleute unter falschen Angaben zur Teilnahme am Ukraine-Krieg nach Russland vermittelt haben sollen. Ihnen wird vorgeworfen, junge Männer mit dem Versprechen auf lukrative Jobs oder Universitätszulassungen nach Russland gelockt zu haben, wie die Bundespolizei am Mittwoch mitteilte. Mehr dazu hier.
  • Auf einem Video von der Front ist ein riesiger russischer „Schildkröten-Panzer“ mit bizarrem Drohnenschutz zu sehen. Solche wurden zuletzt mehrfach gesichtet. Doch scheint der neue Panzer eine Sonderfunktion zu haben. Mehr dazu hier.
  • Russland hat die Eisenbahnverbindung zwischen der ukrainischen Stadt Mariupol und der russischen Stadt Rostow am Don zur militärischen Versorgung seiner Truppen offenbar fast fertiggestellt. Der Berater des Bürgermeisters von Mariupol schätzt, dass die Strecke, die Wolnowacha über Mariupol mit Rostow am Don verbinden wird, voraussichtlich Ende Mai oder Anfang Juni in Betrieb genommen wird. Mehr dazu hier.
  • Polnische Grenzschützer haben im Grenzgebiet zu Belarus einen desertierten russischen Soldaten festgenommen. Der 41-Jährige habe gemeinsam mit einer Gruppe von Migranten die belarussisch-polnische Grenze unerlaubt überquert und sei auf polnischem Gebiet gefasst worden, teilte eine Sprecherin der Behörde am Mittwoch mit. Mehr dazu hier.
  • Russland hat bei seinem Luftangriff auf die ukrainische Energieinfrastruktur in der Nacht nach Angaben aus Kiew mehr als 50 Raketen und über 20 Drohnen eingesetzt. 39 von 55 Raketen und 20 von 21 Drohnen seien abgeschossen worden, teilt die ukrainische Luftwaffe mit. Auch die westukrainische Stadt Lwiw sei aus der Luft angegriffen worden, so das ukrainische Militär. Mehr dazu hier.
  • Vize-Kanzler Robert Habeck spricht sich für einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine aus. Der Prozess dahin müsse beschleunigt werden, es dürfe nicht immer nur debattiert werden, sagte der Wirtschaftsminister am Mittwoch in Berlin laut Redetext bei einer Veranstaltung zum 20-jährigen Jubiläum der EU-Osterweiterung. Mehr dazu hier.
  • Bundeskanzler Olaf Scholz hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Unterstützung bei dem für Juni in der Schweiz geplanten Friedensgipfel zugesichert und seine Teilnahme bestätigt. 
    Die beiden Regierungschef stimmten während ihres Telefonats darin überein, auf eine möglichst große globale Teilnahme hinzuwirken, teilt die Bundesregierung mit.
  • Angesichts des Mangels an Soldaten lässt die Ukraine künftig Strafgefangene zum freiwilligen Militärdienst zu. Das beschloss das Parlament in Kiew am Mittwoch, wie ukrainische Medien berichteten. Verurteilte Schwerverbrecher wie Mörder und Vergewaltiger dürften sich aber nicht melden, auch nicht Drogenhändler oder Häftlinge, die wegen schwerer Fälle von Korruption einsitzen.
  • Russland hat nach eigenen Angaben zwei weitere Dörfer an der Front in der Ukraine eingenommen. Russische Armeeeinheiten hätten das Dorf Kysliwka in der Region Charkiw und Nowokalynowe in der östlichen Region Donezk „befreit“, teilte das Verteidigungsministerium am Mittwoch auf einer Pressekonferenz mit.
  • Der ungarische Außenminister bezeichnet den Nato-Plan zur langfristigen Unterstützung der Ukraine als ein verrücktes Vorhaben, an dem sich sein Land nicht beteiligen wird. „Ungarn wird sich trotz allen Drucks aus der verrückten Nato-Plan heraushalten“, sagt Peter Szijjarto während einer Facebook-Live-Veranstaltung in London.

Liebe Leserinnen und Leser, das nächste Ukraine-Update erscheint wegen des Feiertags erst wieder am Freitag, den 10. Mai.

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