zum Hauptinhalt
„Gemeinsam für die Republik“: Nach dem Angriff auf einen Bürgermeister während der Unruhen durch den Tod des 17-jährigen Nahel protestieren Kolleginnen und Kollegen.

© AFP/EMMANUEL DUNAND

Unruhen in Frankreich: Für den Täter kommt mehr Geld zusammen als für sein Opfer

Die Spendensammlung nach dem Tod eines 17-Jährigen zeigt, dass viele in Frankreich Polizeigewalt nicht so schlimm finden wie die Ausschreitungen danach. Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen, vor allem von Marine Le Pen.

| Update:

Die Marke von einer Million Euro war schon am Montag geknackt, nur vier Tage nach Beginn der Spendenaktion. Am Dienstag befanden sich bereits rund eineinhalb Millionen im Topf für die Familie von Florian M., jenes Polizisten, der vor gut einer Woche in der Pariser Vorstadt Nanterre den 17-jährigen Nahel M. bei einer Verkehrskontrolle erschossen hat.

Initiiert hatte die Sammlung Jean Messiha. Er gehörte einst der Führungsriege der rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN) an, bevor er sich später dem noch radikaleren Journalisten Éric Zemmour anschloss, von dem er seit dessen erfolgloser Präsidentschaftskandidatur 2022 aber wieder Abstand nahm.

In Frankreich ist Messiha durch seine regelmäßige Teilnahme in Fernseh-Talkshows im sehr weit rechts stehenden Sender CNews, der oft mit dem US-Sender Fox News verglichen wird, ein bekanntes Gesicht.

Für Nahel kam nur ein Sechstel der Summe zusammen

Polizist Florian M., der in Untersuchungshaft sitzt und gegen den wegen vorsätzlicher Tötung ermittelt wird, habe „nur seine Arbeit getan und bezahlt nun einen hohen Preis dafür“, begründete Messiha seine Aktion. Von ihrem Erfolg zeigte er sich selbst überrascht. Am Mittwoch um Mitternacht soll sie beendet werden. Die Familie von Nahel M., des Opfers, hat angekündigt, gegen Messiha zu klagen.

Der Polizist hat nur seine Arbeit getan und bezahlt nun einen hohen Preis dafür.

Jean Messiha, rechtsextremer Politiker und Initiator der Spendenaktion für Florian M.

Die Spendensammlung belegt, dass viele in Frankreich die Schuld an dem Drama und dem Chaos, das folgte, nicht bei dem Polizisten sehen, der einen Verkehrssünder erschoss, sondern bei dem jugendlichen Opfer. In einen von einem Unbekannten lancierten Sammeltopf für die Familie des Getöteten waren bis gestern rund 250.000 Euro eingegangen.

Die derzeitigen Krawalle und das daraus resultierende Gefühl der Unsicherheit kommt den Parteien der bürgerlichen und extremen Rechten zupass, welche zumeist harte Antworten fordern. „Auf keinen Fall darf sich die Republik unterordnen“, sagte der Chef der konservativen Republikaner, Éric Ciotti, vor einigen Tagen.

„Ich fordere die unverzügliche Ausrufung des Notstandes überall dort, wo es Unruhen gab.“ Éric Zemmour wollte bereits die „Vorboten eines Bürgerkriegs“ erkannt haben. Auch er rief nach einer scharfen sicherheitspolitischen Reaktion.

Eine ganz andere Strategie verfolgt hingegen Marine Le Pen, Fraktionschefin von 89 RN-Abgeordneten in der Nationalversammlung. Zu einer ihrer wenigen öffentlichen Reaktionen seit den Vorfällen gehörte ein sorgsam inszeniertes Video, in dem sie sich als Mutter der Nation gab.

Marine Le Pen gibt die Mutter der Nation

Vor der französischen Fahne an einem Schreibtisch sitzend, sprach sie in eindringlichem Tonfall. „Kein noch so dramatisches Ereignis legitimiert die herrschende Anarchie“, sagt sie im Video. Den Ordnungskräften sprach sie „ihre ganze Unterstützung“ aus und verurteilte „die von einer zerstörerischen Wut ergriffenen Horden“. Konkrete Ideen für Auswege aus dieser Krise brachte sie nicht vor, verzichtete aber auch darauf, pauschal mit dem Finger auf Einwanderer und deren Nachkommen zu zeigen.

Le Pen hält sich derzeit ebenso zurück wie bei den Debatten zur Rentenreform im Frühjahr, als sie sich nicht an den Kundgebungen beteiligte und keine Alternativvorschläge machte. Trotzdem betrachtete eine Mehrheit Le Pen als Hauptgegnerin der unpopulären Reform.

Auch jetzt steht die 54-Jährige in Umfragen als die Politikerin da, deren Haltung mehr Menschen gutheißen als die anderer führender Politiker. 39 Prozent sind es derzeit, gegenüber 33 Prozent, die hinter Präsident Emmanuel Macron stehen. 24 Prozent befürworten den Kurs des Chefs der konservativen Republikaner, Éric Ciotti.

Die Partei wirbt um nichtweiße Wähler

Indem sie Ciotti und Zemmour in die rechtsextreme Ecke stelle, platziere sie sich selbst in der politischen Mitte, analysiert der Politologe Luc Rouban. „Zugleich verzichtet sie darauf, die Einwanderung zu kritisieren, um zu betonen, dass sie die seriösen Leute unterstützt.“

Bei Menschen mit Migrationshintergrund, die eine autoritäre politische Haltung oft gutheißen, gebe es großes Wähler-Potenzial. Vor der Präsidentschaftswahl 2022 versicherte Le Pen, sie habe nichts gegen Muslime, solange diese friedlich ihre Religion ausüben.

Doch das ist nur die eine Seite ihrer Partei, die in ihrem Programm weiterhin für „nationale Priorität“ wirbt, also die systematische, nicht verfassungskonforme Bevorzugung autochthoner Franzosen bei der Vergabe von Jobs, Sozialhilfen und -wohnungen.

Die Präsidentschaftswahl 2027 fest im Blick

Die Rollen sind klar verteilt zwischen Le Pen und Jordan Bardella, den sie selbst vor einem Jahr zum Parteichef machte. Der 27-jährige Sohn italienischer Einwanderer ist allgegenwärtig in den Medien, wo er das „unmögliche Zusammenleben auf unserem Boden“ beklagt „mit Leuten, denen wir alles gegeben haben“.

Wem dieser Ton nicht passt, der kann sich an die gemäßigtere Le Pen halten. Wer sie hingegen für inzwischen zu soft hält, wendet sich an Bardella. Beide haben vor allem ein Datum im Blick: 2027, das Jahr der nächsten Präsidentschaftswahl in Frankreich.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false