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Außenministerin Baerbock und ihr indischer Amtskollege Jaihankar am 5. Dezember in Neu Delhi.

© dpa/Carsten Koall

Wie umgehen mit Indien?: Die größte Demokratie der Welt wird immer undemokratischer

Indien nutzt seine neutrale Stellung, um seinen Einfluss zu mehren: politisch und ökonomisch. Zugleich wird die Regierung Modi autoritärer. Der Westen muss balancieren. Ein Gastbeitrag.

Auf ihrer Indien-Reise hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock es mit sehr selbst- und machtbewussten Gesprächspartnern zu tun bekommen: Premierminister Narendra Modi sieht Indien als Führungsmacht und wird die im Dezember übernommene G20-Präsidentschaft nutzen, um Indiens globale Ambitionen zu unterstreichen.

Dabei wird seine digitale und grüne Agenda die Interessen des globalen Südens mit im Blick haben, um den Herausforderungen von Klimawandel, Terrorismus und der Pandemiebekämpfung zu begegnen. Und Außenminister Subrahmanyam Jaishankar versteht Indien als Pol in einer künftigen multi-polaren Weltordnung.

Das riesige Land ist im Zuge der wachsenden Rivalität zwischen den USA und China in den vergangenen Jahren ins Zentrum geostrategischer Überlegungen gerückt. Westliche Staaten unterstützen den Aufstieg Indiens als Gegengewicht gegen die hegemonialen Bestrebungen Chinas, dessen Regierung wiederrum trotz der Rivalität die Annäherung an Indien sucht. Indien nutzt das geopolitische Werben, um seine eigenen außenpolitischen Ambitionen voranzutreiben.

Seit der Unabhängigkeit 1947 sehen indische Regierungen ihr Land als einen zentralen Akteur auf der internationalen Bühne, auch wenn die eigenen wirtschaftlichen Kapazitäten den Statusansprüchen oft nicht gerecht wurden. im Rahmen des Quadrilateralen Sicherheitsdialogs (Quad) hat Indien in den vergangenen Jahren seine politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen mit den USA, Japan und Australien deutlich ausgeweitet.

Auch die Indo-Pazifik Leitlinien der Bundesregierung benennen Indien als wichtigen Partner in der Region. Zugleich kooperiert Indien, das eine Teilnahme an Pekings Seidenstraßeninitiative ablehnt, trotz der Spannungen mit China in der BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.

Indiens neutrale Haltung im Ukrainekrieg stand ganz im Zeichen seiner nationalen Interessen und der außenpolitischen Kontinuität. Bislang war Russland der wichtigste militärische und außenpolitisch zuverlässigste Verbündete vor allem im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Ein wirtschaftlich geschwächtes Russland, das sich enger an China orientiert, erfordert daher eine neue Balance der indischen Außenpolitik. Indien Enthaltung zum Ukraine-Krieg in den Vereinten Nationen wurde zwar Anfangs von westlichen Staaten kritisiert. Mittlerweile setzen aber die USA, die EU und Deutschland auf eine stärkere Zusammenarbeit mit Indien, um dessen Abhängigkeit von Russland zu verringern.

Mit dem Ausbau der Beziehungen zum Westen rückt auch Indiens innenpolitische Entwicklung verstärkt in dessen Blickfeld. Modi und die indische Volkspartei (Bharatiya Janata Party, BJP) haben für ihr „neues“ Indien als Hindu-Nation bei den Wahlen 2014 und 2019 eine absolute Mehrheit im Parlament erhalten.

Es geht gegen religiöse Minderheiten

Ein an den Interessen der Hindu-Mehrheit ausgerichtetes Indien richtet sich vor allem gegen religiöse Minderheiten wie Muslime und Christen. Kritische Stimmen werden zunehmend mit Anklagen überzogen, die Zivilgesellschaft und ihre westlichen Partner sehen sich immer neuen bürokratischen Regelungen gegenüber.

Die Meinungsfreiheit hat sich weiter verschlechtert, Institutionen wie Zentralbank und Wahlkommission büßen nach und nach ihre Unabhängigkeit ein. Die Regierung in Delhi versucht Einfluss auf die Ernennung von Richtern zu nehmen und die Kompetenzen der Bundesstaaten zu beschneiden.

In Reaktion auf die Herabstufung Indiens in internationalen Demokratieindices hat Modi Indien zur „Mutter der Demokratie“ erklärt. Die hindu-nationalistischen Vorstellungen von Demokratie werden vermutlich kaum mit westlichen Vorstellungen übereinstimmen.

Das nationalistische Moment zeigt sich auch in der neuen Wirtschaftspolitik, die unter dem Schlagwort der Eigenständigkeit die nationale Industrie fördern soll. Abzuwarten bleibt, ob sich damit mittelfristig auch Indiens internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert.

Der indische Markt ist mit seinen Wachstumsperspektiven auch für deutsche Unternehmen weiterhin sehr attraktiv. Allerdings ist Indien für viele Firmen, die ihre Produktionsstandorte aus China weg verlagern, bislang noch nicht die erste Wahl.

Modi wird den Status Indiens als unabdingbarer Partner des Westens in der Rivalität mit China dazu nutzen, seine innenpolitische Agenda weiter voranzutreiben.

Die Herausforderung für die westlichen Staaten liegt darin, eine Balance zu finden zwischen den zunehmenden geopolitischen Gemeinsamkeiten mit Indien und den gleichzeitig wachsenden Differenzen über dessen innenpolitische Entwicklung, die sich vom Ideal einer demokratischen Wertepartnerschaft eher entfernt.

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