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Aus Abfallprodukten gewonnene Pellets können Böden vitalisieren oder zum Asphaltieren von Straßen dienen – kohlendioxidneutral.

© CarbonStoreAge / CarbonThink

Kohlrabenschwarzes Multitalent: Aus Biomasse wird Pflanzenkohle

Geoökologe Robert Wagner hat ein anwendungsreifes und klimafreundliches Konzept für die Weiterverwertung von Pflanzenabfällen entwickelt.

Von Catarina Pietschmann

Jede Woche ein Eimer vertrocknete Blüten, Blätter und Astschnitt – allein von einer kleinen Dachterrasse. Nicht auszudenken, wie viele Pflanzenabfälle im Botanischen Garten oder in Berlins Grünanlagen pro Jahr anfallen. Gesammeltes Laub wird aktuell in der Stadt kompostiert. Doch der dabei gebildete Kompost ist von minderer Qualität und kaum brauchbar. Neue Konzepte sind gefragt, etwa das von Robert Wagner. Er möchte aus Ast- und Grünschnitt ein hochwertiges Produkt gewinnen, bei dem ganz nebenbei noch nutzbare Wärme entsteht. Die Rede ist von Pflanzenkohle.

Bereits seit 2010 treibt den promovierten Geoökologen von der Freien Universität das Thema um. Es begann mit der Idee, die Stoffkreisläufe im Botanischen Garten zu schließen. Auch dort war man daran gescheitert, Pflanzenabfälle in guten, nährstoffreichen Boden umzuwandeln.

Stattdessen musste der Kompost größtenteils kostenpflichtig entsorgt und Dünger zugekauft werden. Was wäre, wenn man Biomasse einfach in Kohle umwandeln und diese dann wieder im Boden verteilen könnte? Ganz so, wie die Indios dies traditionell mit „Terra preta“ tun, jener „Schwarzen Erde“, die unter anderem mit Kompost und Kohle aus den Herdstellen angereichert wird.

Experte für die vielen Einsatzmöglichkeiten von Pflanzenkohle: Robert Wagner, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der AG Geoökologie an der Freien Universität Berlin.
Experte für die vielen Einsatzmöglichkeiten von Pflanzenkohle: Robert Wagner, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der AG Geoökologie an der Freien Universität Berlin.

© René Schatten

Gedacht, getan: Im Jahr 2013 wurde die Pyrolyse-Anlage des TerraBoGa-Projekts in Betrieb genommen. „Grundlage ist der alte Prozess der Holzkohleherstellung“, erklärt Robert Wagner. „Dieser wurde optimiert, sodass er in modernen Anlagen sehr umweltfreundlich abläuft.“ Damit hochwertige Pflanzenkohle entstehen kann, muss Laub und Ästen zunächst die Feuchtigkeit entzogen werden.

Dann wird Holziges zu Hackschnitzeln zerkleinert und Laub zu Pellets oder Briketts gepresst. „Bei TerraBoGa hatten wir eine Art Kachelofen aus zwei Tonnen Schamottsteinen, durch den ein langes Rohr mit einer Förderschnecke geht, welche die Biomasse unter Luftabschluss durch den Ofen transportiert.“ Vorn gehen Hackschnitzel oder Pellets rein, werden auf 450 bis 600 Grad Celsius erhitzt, hinten kommen sie als Kohle wieder heraus.

Kohle speichert Feuchtigkeit, erhöht also die Wasserhaltefähigkeit der Böden und lockert diese gleich noch auf.

Robert Wagner, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der AG Geoökologie an der Freien Universität Berlin

Zermahlt man Pflanzenkohle und setzt sie, zusammen mit Kompost, dem Boden zu, hat das diverse Vorteile. „Kohle ist sehr porös, hat also eine große innere Oberfläche, auf der sich Mikroorganismen ansiedeln können und Nährstoffe gespeichert werden“, erklärt Robert Wagner. „Außerdem speichert Kohle Feuchtigkeit, erhöht also die Wasserhaltefähigkeit der Böden und lockert diese gleich noch auf.“ Der Prozess der Verkohlung, Karbonisierung genannt, ist zudem stark exotherm.

Es wird also deutlich mehr Energie frei, als man hineinstecken muss. „Die Wärme, die entsteht, lässt sich ableiten und in Nahwärmenetze einspeisen“, sagt Robert Wagner. So entsteht nicht nur ein kommerziell verwertbares, klimafreundliches Produkt, das den Ertrag von Böden um bis zu 15 Prozent steigern kann – wie Versuche mit Kartoffeln, Tomaten, Salat und Erdbeeren zeigten. Fossile Brennstoffe können außerdem noch eingespart werden. Pflanzenkohle ist also ein echtes Multitalent.

Während es anfangs rein um umweltfreundliche Stoffkreisläufe ging, kam im Rahmen der Klimadebatte noch ein wesentlicher Aspekt hinzu. Pflanzenabfälle, die verrotten und durch mikrobielle Prozesse zersetzt werden, setzen das Kohlendioxid (CO2), das einmal durch Photosynthese fixiert wurde, wieder frei. Pflanzenkohle nicht – im Gegenteil: Sie verbleibt über längere Zeiträume in der Erde und wirkt auf diese Weise als Kohlenstoffsenke.

Wird sie aus gutem Holz gemacht, kann Pflanzenkohle sogar als Futterkohle oder Arzneimittel verwendet werden.

Robert Wagner, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der AG Geoökologie an der Freien Universität Berlin

Mittlerweile hat das Team um Robert Wagner die Karbonisierung und Anwendung der Pflanzenkohle in fünf Projekten erforscht und optimiert – auch im Tierpark Berlin. Auf der 160 Hektar großen Anlage fällt neben Baumschnitt, Ästen, Laub und Rasenschnitt auch viel fester Mist von Tieren an. Und das alles lässt sich karbonisieren. Pyrolisiert wird zwischen 400 und 900 Grad Celsius. „Je höher die Temperatur, desto stabiler wird die Kohle gegenüber mikrobiellem Abbau“, sagt Wagner. „Dafür sinkt der Ertrag etwas, denn je heißer der Prozess betrieben wird, desto mehr flüchtige Anteile entweichen der Biomasse.“ Aus einer Tonne frischer Biomasse entstehen rund 250 Kilogramm Pflanzenkohle. Bezogen auf die Trockenmasse liegt die Ausbeute, abhängig von der Biomassequalität, bei bis zu 40 Prozent.

Pflanzenkohle eröffnet eine große Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten

Pflanzenkohle vitalisiert nicht nur den Boden, sondern ist auch als Zusatzstoff in der Bauindustrie einsetzbar. So wurde beispielsweise der erste CO2-neutrale Asphalt damit hergestellt, erzählt Robert Wagner. Ein großes Thema sei Beton, in dem Pflanzenkohle als Substituent für den rar werdenden Sand oder Zement dienen könne. Als Filtermaterial zur Wasseraufbereitung oder zur Sanierung kontaminierter Böden kommt sie ebenfalls zum Einsatz. „Wird sie aus gutem Holz gemacht, kann Pflanzenkohle sogar als Futterkohle oder Arzneimittel verwendet werden“, sagt Robert Wagner. Selbst Klärschlamm könne karbonisiert werden. Trotzdem sei nicht jede Biomasse geeignet: Gemüseabfälle sind wegen des hohen Stickstoffgehalts besser in Biogas- oder Kompostanlagen aufgehoben, erläutert der Wissenschaftler.

Die Forschung ist nun weitgehend abgeschlossen. Jetzt kann es in die Anwendung gehen. Im Auftrag der Stabsstelle Nachhaltigkeit & Energie der Freien Universität hat Robert Wagner eine Machbarkeitsstudie zur Karbonisierung auf dem Campus erstellt. Geeignete Standorte sind demnach der Botanische Garten und der Veterinärmedizinische Campus in Düppel. Beide verfügen über die notwendigen Kriterien: viel Biomasse, Platz für die Anlagen und Gebäude sowie Nahwärmenetze, die die Wärme zum Heizen nutzen können. Mit dem Grünflächenamt Steglitz-Zehlendorf sei man bereits im Gespräch, um auch Holzschnitt aus Parkanlagen zu karbonisieren.

Mit den beiden Anlagen ließen sich jährlich 2500 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente einsparen. Nicht schlecht für eine Universität auf dem Weg zur Klimaneutralität. Berlin insgesamt hätte das Potenzial von mindestens 20.000 Tonnen CO2-Äquivalenten – bei einer Rechnung mit sehr zurückhaltenden Annahmen. Denn nur wenige Biomasseströme wurden einkalkuliert: aus dem Tierpark, von Grünflächenämtern, Baumschulen und der Laubverwertung der Berliner Stadtreinigung (BSR). An Betriebe, die mit organischen Produkten wie etwa Kakaobohnen arbeiten und die Schalen wegwerfen, wurde dabei noch gar nicht gedacht.

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