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Das weiße Buch: Hoch stapeln

Die Bekenntnisse von Rafael Horzon.

Unterfordert und enerviert vom Philosophie-, Atomphysik- und Lateinstudium beschließt ein junger Mann, reich zu werden. Über Paris und München landet er im Berlin der neunziger Jahre, wo er sich erst als Paketfahrer disqualifiziert, dann aber den festen Vorsatz fasst, die Chausseestraße kurzerhand in seine Straße aus Gold zu verwandeln. Tatsächlich findet er zwischenzeitlich auch Gold, irgendwo in der Wüste Arizonas an der Seite eines drogenaffinen Japaners. Doch so einfach macht es ihm das Schicksal nicht: „Versuche nie, schneller zu laufen als die anderen. Du wirst nie vor ihnen ans Ziel kommen! Also sollst du ein Ziel wählen, das außer dir niemand kennt, dann wirst du der Erste sein, der dort ankommt, auch wenn du noch so gemütlich spazierst!“

Horzon heißt dieser junge Mann, Rafael Horzon. So steht es auf seinem Buch, unter diesem Namen kennt man ihn auch in Berlin: als Möbelmagnaten und Gründer der legendären Galerieparodie berlintokyo, als Modedesigner und Apfelkuchenhändler. „Das weiße Album“, so heißt Horzons Buch, ist seine Lebensgeschichte, eine Art Autobiografie. Allerdings vermischen sich darin Wirklichkeit und Fiktion ununterscheidbar. Horzon ist ein smarter Wiedergänger Felix Krulls, mit dem feinen Unterschied, dass es ihn ja irgendwie auch in Wirklichkeit gibt: „Nichts an diesem Buch ist erfunden, alles liegt offen zur Prüfung, und alles ist wahr“, heißt es in einer Fußnote. Aber Vorsicht: Hier bekennt sich zwar ein kreativer Geist zu seinem Leben, die Freude an der Überzeichnung, den Spaß an der Übertreibung aber lässt er sich nicht nehmen.

Horzon also gründet ein Unternehmen nach dem anderen. Aber können diese ihren Inhaber wirklich reich machen? Ein Möbelgeschäft, das der großen schwedischen Konkurrenz mit nur einem einzigen Produkt den Markt streitig machen will; eine Firma, die alle Berliner Häuser mit einer Einheitsfassade bestücken möchte; die Krawatte, die gleichzeitig Schweißstirnband ist. Und, nicht zu vergessen: die Wissenschaftsakademie Berlin mit Dozenten wie Christian Kracht, die Themen wie „Der Schabrackentapir“ behandeln. Das alles ist innovativ und ambitioniert. Nur: Wie ernst ist es gemeint? Und wie viel davon ist in seiner Entblößung der Absurditäten des Wirtschafts-, Wissenschafts- und nicht zuletzt Kunstbetriebs nicht schon selbst wieder Kunst?

Horzons Spiel mit dem Zweifel ist das Hauptmotiv seines Buches und auch seines Lebens. Dieser Zweifel macht den Reiz des Horzon’schen Schaffen aus. Mit dem Mut zum intelligenten Kalauer gelingt es ihm zudem, sprachliche Klischees ironisch aufzulösen: ein augenzwinkernd-melancholischer Blick zurück, „trotz meines hohen Alters.“ Ganz wie im richtigen Leben beschleunigt sich das Buch zum Ende hin deutlich. Das ist schade. Man hätte Horzon gern noch länger bei der Ausübung seines Berufs zugesehen: „Interessante Dinge tun, die keine Kunst sind.“ Dennis Grabowsky

Rafael Horzon:

Das weiße Buch.

Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.

216 Seiten, 15 €.

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