zum Hauptinhalt

  KURZ  &  KRITISCH  :   KURZ  &  KRITISCH  

KLASSIK Erträumt: Yutaka Sado mit den Berliner Philharmonikern Dass ein kleiner japanischer Junge in Kyoto den Lebenstraum hegt, einmal die Berliner Philharmoniker dirigieren zu dürfen, ist charakteristisch für den Stellenwert europäischer Musik in seiner Heimat. Beethoven überall.

KLASSIK

Erträumt: Yutaka Sado

mit den Berliner Philharmonikern

Dass ein kleiner japanischer Junge in Kyoto den Lebenstraum hegt, einmal die Berliner Philharmoniker dirigieren zu dürfen, ist charakteristisch für den Stellenwert europäischer Musik in seiner Heimat. Beethoven überall.

Nun ist Yutaka Sado gerade 50 geworden, und sein Debüt bei dem Orchester seiner Jugendträume gerät ihm zu einem Triumph. Das ist bemerkenswert, weil die Philharmoniker nicht jedem Debütanten mit solcher Hingabe folgen. Und auch, weil sie nach den vier Abbado-Konzerten keine Erschöpfung gelten lassen. Es erklärt sich aus den bei vielen Begegnungen und Tourneen erworbenen japanisch-deutschen Musikerfreundschaften. Am ersten Pult der ersten Violinen sitzen die Konzertmeister Daishin Kashimoto und Daniel Stabrawa. In der Philharmonie gibt es einen Meeting Point für japanische Presse, japanische Präsenz färbt das Publikum. Sado, der einst Assistent von Leonard Bernstein war, hat noch die berühmten „Lennie“-Sprünge in den Füßen, wenn er sich mit stürmischer Geste in die gezackten Rhythmen der fünften Symphonie von Schostakowitsch stürzt. Politik her oder hin und Grübeln über die Position des Komponisten nach der Rüge in der „Prawda“ 1936: Was in dieser Aufführung zählt, ist die Intensität des Klanges, die das Orchester dem Dirigenten mit großer Aufmerksamkeit entgegenspielt, Walzerspaß operettenfroh, bestes Pizzikato, ruhiges Largo. Eine Interpretation voller Saft und Kraft.

Von seinem Landsmann Toru Takemitsu bringt Sado „From me flows what you call Time“ (1990) zur Erstaufführung. Fünf Schlagzeuger der Philharmoniker sorgen bunt gekleidet nach den Farben der tibetanischen Fahne und mit blühender Virtuosität dafür, dass mehr Bühnenwirkung aufblitzt als vormals in dem respektablen Staatsopernversuch „My Way of Life“ unter Kent Nagano/Peter Mussbach nach Takemitsu-Kompositionen. Hier werden Windglockenspiele in der Höhe über bunte Bänder bedient, ein Farbenspiel entfaltet, in das sich thematisch kleine Ohrwürmer einhämmern, alles ist Klang, Ton, Soloflöte, Romantic Sound, Meditation zum Aus- und Einsteigen – eine Weltmusik. Sybill Mahlke

KLASSIK

Entgrenzt: Peter Ruzicka

und das Konzerthausorchester

Mit der dreiteiligen Reihe „Musik mit Mahler“ nähert sich das Konzerthausorchester im Gedenkjahr den Kompositionen des Spätromantikers aus verschiedenen Blickwinkeln. Im Finale geht es um Dichtung und Musik – ein weites Feld, das Gustav Mahler nicht nur mit der jetzt aufgeführten vierten Symphonie bestellte. Als „symphonische Humoreske“ mit mystischem Hintersinn eignet sie sich für Reflexionen und freie Assoziationen jedoch hervorragend. Darüber hinaus kann ein Dirigent wie Peter Ruzicka ihre Kompaktheit nutzen, um in konzertverträglicher Länge ein eigenes Werk in Kontrast zu stellen. „… Inseln, randlos …“ wiederum, 1995 vom DSO Berlin uraufgeführt, bezieht sich auf nichts Ironisch-Kindliches wie Mahlers Wunderhorn-Adaption, sondern sucht die Nähe zur Betroffenheitsästhetik des Dichters Paul Celan. Eigentlich begreift sich das Stück als musikalische Architekturstudie mit klarer Struktur. Spannung will sie aus dem Thema der „Entgrenzung“ beziehen, aber leider ist deren Bedeutsamkeit auf weite Strecken nur behauptet. Violinsolistin Carolin Widmann erzeugt erstaunlich glitzernde Flageolett-Kaskaden, die wohl eher flimmernd gemeint waren. Undankbar ist ihre Rolle allemal, denn dem 16-köpfigen Vocalconsort Berlin kommt die mit Stimmgabelhilfe bravourös gemeisterte Aufgabe zu, sich von seiner orchestralen Funktion zum Sinnstifter des Stückes zu emanzipieren, in dem es Celans Metaphorik endlich singen darf.

Peter Ruzicka dirigiert so nüchtern wie er komponiert, und so zerschellen viele von Mahlers Träumen schon an der Realität des Podiums. Ruzicka fordert Durchsichtigkeit um jeden Preis (und ohne Sinn) und opfert den Affekt, ohne dass es einer „Erkenntnis“ oder – ganz spielpraktisch – höherer Präzision diente. Pultgewollt gerät das Konzerthausorchester ins Buchstabieren, Ruzicka ist kein Zauberer, überlässt Solisten ihrem Schicksal – er „entgrenzt“ auch weiter fleißig. Kühl bleibt es im Saal. Christian Schmidt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false